Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
biete Ihnen an, Herr Huang, die Nacht über bei mir zu bleiben. Unser Denken ist noch nicht beendet.«
    »Ein Kreis ist ein geschlossenes Gebilde, und aus ihm kommen wir nicht mehr heraus. Ignorieren wir doch nicht die Wahrheit!« Huang schüttelte den Kopf. »Morgen sieht die Welt wie heute aus.«
    »Das ist ein Irrtum. Sie ändert sich jeden Tag.«
    »Nicht meine Welt und nicht die Welt der Tongs. Ich muß mich um meine Tochter Lida kümmern.«
    Aber Huang blieb doch bei Zhang Shufang. Er bekam ein Lager neben dem Atelier, und sie saßen noch lange zusammen, tranken Tee, und Huang erzählte vom Leben eines Lehrers, erzählte von Chang, dem ehemaligen gefürchteten Kommissar, der jetzt so elend war wie ein Aussätziger, und Zhang sagte darauf: »Daß Sie ihn bei sich aufgenommen haben, zeugt von großer Charakterstärke und Menschlichkeit. Ich wüßte nicht, ob ich nach all diesen Grausamkeiten dazu fähig gewesen wäre.«
    »Was hätten Sie getan?«
    »Kann sein, daß ich ihn totgeschlagen hätte wie einen tollwütigen Hund.«
    »Das ist nicht Ihre Art, Herr Zhang. Der alte, mißhandelte, todkranke Mann war nicht mehr der Kommissar Chang Lifu.«
    »Weiß Jian, wer Chang einmal war?«
    »Nein. Aber ist das wichtig? Was ändert sich dadurch? Für einen Arzt ist er ein Kranker, der Hilfe braucht.«
    »Ihre Weisheit ist größer als die meine«, sagte Zhang beeindruckt. »Es ist bedauerlich, daß zwischen den Tongs und den Huangs ein unüberwindbarer Graben liegt. Aber – und das trägt Ruhe in mein Herz – die neue Generation, die Jugend, lebt nach anderen Idealen als nach der Tradition. Es braucht nur alles seine Zeit.«
    Es war schon spät, als sie sich auf ihr Lager legten. Aber Huang konnte nicht in den Schlaf finden; er wälzte sich unruhig hin und her, und als er endlich einschlief, war die Morgendämmerung nicht mehr fern.
    Ein Geräusch weckte Zhang, der einen leichten Schlaf hatte, und es war ihm, als wäre jemand ins Haus gekommen, leise und vorsichtig, einem Dieb gleich. Aber noch nie war Zhang von einem Dieb überrascht worden, es wäre das erste Mal gewesen.
    Er erhob sich von seinem Bett, nahm einen dicken Knüppel aus Eisenholz in die Hand und ging furchtlos in das im Halbdunkel des beginnenden Tages liegende Atelier. Mit einem Ruck stieß er die Tür auf und wollte rufen: »Du überraschst mich nicht, du Halunke!«, aber dann schwieg er doch, weil ihm die Worte einfach im Hals stecken blieben. Auch der Eindringling schwieg; er stand mitten im Raum und versuchte ein schwaches Lächeln.
    »Jian!« sagte Zhang endlich. »Jian, du bist es?«
    »Ich bin die ganze Nacht durchgefahren, Onkel Zhang. Ich mußte zurückkommen. Mich konnte keiner festhalten.« Jian setzte sich auf einen Stuhl, die Müdigkeit war jetzt nach der langen Fahrt und der Erreichung des Zieles stärker als seine Kraft. »In Kunming kam ich mir wie in einer Drachenhöhle vor.«
    »Weiß dein Vater, wo du bist?«
    »Ich habe ihm gesagt, daß ich nach Dali fahre.«
    »Und kennt er auch den Grund?«
    »Nein. Ich habe nach deinem Rat gehandelt. Dennoch hat es Streit mit ihm gegeben. Er hat mit einem reichen Seidenhändler verabredet, daß ich dessen Tochter Yanmei heirate, getreu der Tradition, daß sich die Väter einigen und von den Kindern Gehorsam fordern. Aber ich kann kein gehorsamer Sohn sein – ich liebe Lida.«
    Zhang legte den Eisenholzknüppel auf den Tisch und fuhr sich mit beiden Händen durch den weißen schütteren Bart, wie er es immer tat, wenn er nachdachte oder sich beruhigen mußte. Nebenan lag Huang Keli im Schlaf, und wenn er nachher aufwachte, stand Jian vor ihm, und niemand konnte vorhersagen, wie diese Begegnung auslaufen würde.
    »Leg dich auf mein Bett und ruh dich aus«, sagte Zhang. »Wie lange willst du bleiben?«
    »Ich weiß es noch nicht.« Jian erhob sich von dem Stuhl und schwankte etwas. Vierhundert Kilometer bei Nacht, das macht die Knochen mürbe. »Ich lege mich in der Nebenkammer hin.«
    »Das Lager ist besetzt. Ich habe einen Gast.«
    »Für längere Zeit?«
    »Das glaube ich nicht. Er wird sofort mein Haus verlassen, wenn er dich sieht.«
    Jian versuchte erneut ein Lächeln und drohte mit dem Zeigefinger. »Onkel Zhang, ist es eine Frau? In deinem Alter noch solche Späße? Wer hätte dir das zugetraut?«
    »Es wird eine Überraschung für dich sein, Jian. Ertrage sie mit Würde. Und nun ruhe dich aus.«
    Sie gingen in den Schlafraum, und als Jian das Bett sah, fiel er fast hinein und schlief nach

Weitere Kostenlose Bücher