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Der Jade-Pavillon

Der Jade-Pavillon

Titel: Der Jade-Pavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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stieß mit dem dicken Kopf gegen die Holzwand, denn ihm fehlte der Wind von den Bergen, die klare Luft und der Geruch der aufgebrochenen Erde.
    Bei Onkel Zhang Shufang am Erhai-See machte Jian Station, um eine Thermoskanne mit heißem Wasser und ein Päckchen grünen Tee auf den langen Weg von Dali nach Kunming mitzunehmen. Erst spätnachts würde er im Elternhaus eintreffen, und da war es nützlich, sich mit Tee wachzuhalten und den Magen zu beruhigen.
    »Wann beginnt das neue Semester?« fragte Zhang und packte in eine Tasche aus Binsen noch Obst für die Fahrt ein, saftige Mandarinen und große goldgelbe Pflaumen.
    »Morgen«, antwortete Jian einsilbig. Er dachte an Lida, immer nur an Lida und ihre verzweifelte Wildheit bei den Abschiedsküssen.
    »Du kommst also im allerletzten Augenblick nach Hause.«
    »Ja.«
    »Das wird deinem Vater nicht gefallen.«
    »Ihm wird vieles nicht gefallen, was noch geschehen wird.«
    »Er wird Achtung und Ehrerbietung verlangen.«
    »Er soll sie haben, wenn er mich meinen Weg gehen läßt.«
    »Und wohin führt dieser Weg, und wo endet er?«
    »In der freien Individualität.«
    »Das klingt wie das Märchen vom Drachen, der eine Maus auf seiner nassen Zunge badet. Jian, auch dein Leben wird die Partei bestimmen. Du kannst vor ihr nicht wegrennen, denn wo du hinkommst, ist auch sie. Sie ist überall. Oder willst du China verlassen?«
    »Ich werde Lida heiraten.«
    Zhang schwieg einen Augenblick und blickte durchs Fenster auf den See und die Fischerboote hinaus, die wie graue Flecken auf dem blauschimmernden Wasser lagen. »Ich hätte dem Lehrer mehr Klugheit zugetraut«, sagte er endlich. »Dein Vater, Jian, ist ein mächtiger Mann, dessen Worte man gerne hört und deren Weisheit man ehrt. Du kennst seine Verbindungen, die bis nach Beijing zu den Großen der Partei reichen. Huang wird verlieren.«
    »Ich werde an seiner Seite stehen. Wer gegen ihn kämpft, muß erst mich überwinden.«
    »Du bist ein Tong! Willst du deine Hand gegen deinen eigenen Vater erheben?«
    »Ich heiße Tong, aber dieser Name ist nicht der Schlächter meines Willens!«
    »Vergiß nicht deine Schwester Fengxia und ihren Verlobten Wu Junghou. Auch sie werden deine Gegner sein.«
    Jian lächelte und schüttelte den Kopf. »Sie sind kommunistische Funktionäre; die Tradition ist für sie um so erhaltenswerter, je mehr sie verschwindet. Das Alte, das Mao zerstören ließ, wieder neu bauen, damit die Welt sieht, daß China schon ein Land mit einer Hochkultur war, als die übrige Menschheit noch in Wolfs- oder Bärenfellen herumlief und in Höhlen lebte – das hat für sie einen Sinn. Aber ein Leben in der Tradition, wie mein Vater es wünscht, erregt nur ihr Lachen oder ein mitleidiges Kopfschütteln.«
    »Ich wäre glücklich, wenn sich das nicht als eine Täuschung erweist.« Zhang zeigte auf den Herd. »Ich kann dir noch eine Reissuppe anbieten, Jian.«
    »Ich danke dir, Onkel Zhang.« Jian verbeugte sich vor seinem Onkel, nahm die volle Thermoskanne und den Binsenkorb mit Obst und ging zu seinem Wagen hinaus. »In vierzehn Tagen komme ich wieder und werde Tee bei dir trinken. Dann fahre ich nach Huili weiter.«
    »Für einen halben Tag? Du bist ein Narr! Jian, lerne aus den Sprüchen der Jahrhunderte. Einer lautet: ›Läßt man in seinem Herzen die Wünsche allzu sehr wachsen, so hat man nichts, womit man den Leichtsinn in sich beschwichtigen könnte, und so sind selbst unter den weisesten Männern des Altertums einige der Frauen wegen gestrauchelt.‹«
    »Onkel Zhang, du hast nie die Liebe in deinen Armen gehalten.« Jian blieb unter dem Türbalken stehen. »Ich entgegne dir mit einem anderen Spruch: ›Wenn die Menschen nur von dem sprächen, was sie verstehen, dann wäre gar bald ein großes Schweigen auf der Erde.‹ Und Li Yü, der Weise, sagte: ›Mann und Frau können ebenso wenig getrennt werden wie Himmel und Erde.‹ Und so ist es, Onkel Zhang: Nichts kann mich mehr von Lida trennen.«
    »Die Liebe ist das Grab der Vernunft – ich weiß es, und du wirst es noch lernen. Habe eine gute Fahrt und grüße mir deine Eltern.«
    Jian verbeugte sich wieder und verließ Zhangs Haus. Er empfand eine große Sympathie für seinen Onkel, denn er war ein Mann voll Güte und Wissen, der einen Rat für alle Widrigkeiten hatte und eine offene Seele für alle Nöte. Er war ein Mensch, der die Wahrheit nicht verschluckte, und wenn er sagte, daß Huang gegenüber Tong der Verlierer sein werde, dann gab es keinen

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