Der Jade-Pavillon
und mehr Tränen vergoß, als die Feldarbeit Schweiß kostete. Sie wußte jetzt, daß Jian wiederkam, sie wußte, daß sie zueinander gehörten, sie wußte, daß diese Liebe von jetzt an ihr Leben bestimmte, aber sie wußte auch, genau wie Jian, daß sie vor seinen Eltern verborgen werden mußte, solange er sein Studium nicht beendet hatte.
Jian hatte seine Reisetaschen in den Kofferraum des Autos gelegt, als Chang Lifu aus seinem Anbau kam und auf ihn zuschlurfte. Seit vier Tagen hustete er nicht mehr, auch wenn er sich aufregte oder freute; denn jede Gemütsbewegung hatte bisher zu einem Anfall geführt, der seinen Körper durchrüttelte. Nur etwas schwächer war er geworden, und wenn er die Hühner gefüttert, im Garten gearbeitet oder den Büffelstall mit neuem Reisstroh versorgt hatte, mußte er sich eine Weile hinsetzen oder hinlegen, weil seine Beine zu zittern begannen und er so von Müdigkeit überwältigt wurde, daß er hätte einschlafen können. »Es geht mir viel besser, Jian«, sagte er und lehnte sich gegen den Wagen. »Ich huste kaum noch – wirkt die Medizin?«
»Es wäre keine Medizin, wenn sie nicht wirken würde«, antwortete Jian ausweichend. »Du siehst, daß du kaum noch Beschwerden hast.«
»Nur müde bin ich, immer müde.«
Jian nickte. Die Medizin wirkte dämpfend, sie war eine starke Pflanzen- und Wurzelmischung, versetzt mit einem Schlangengift, die wirkungsvoller war als die chemischen Mittel, die aus dem Ausland importiert wurden. Die Zusammensetzung der Medizin hatte Jian in dem Rezeptbuch seines Vaters gefunden; sie war ein Mittel, das man in China schon seit Hunderten von Jahren kannte und das drei Kaisern geholfen hatte, wie Tong Shijun am Rande des Rezeptes notiert hatte. Unausgesprochen blieb nur, daß diese Medizin nicht heilen, sondern nur die Beschwerden überdecken konnte. Chang brauchte nur noch diese kleine Hilfe, bevor er sterben würde. Aus ärztlicher Sicht war er verloren.
»Dein Körper reagiert auf die Medizin, das macht ihn müde«, log Jian und wich dem forschenden Blick Changs aus. »Die Müdigkeit wird vergehen.«
»Ich werde also nicht sterben, Jian?«
»Wir alle müssen einmal sterben, Chang.«
»Das ist keine Weisheit, sondern ein Naturgesetz. Ich muß nicht jetzt sterben, nicht morgen, in einer Woche, in einem Monat?«
»Wer weiß es? Wer kann darauf eine Antwort geben? Unser Körper entzieht sich unserem Willen. Er nimmt Krankheiten auf, und er stößt Krankheiten ab, ohne uns zu fragen. Er beherrscht uns, und wir können ihm nichts befehlen. Warum stirbt der eine Mensch schon mit achtzehn, und der andere wird neunzig Jahre alt?« Jian setzte zu einer neuen Lüge an. »Es geht dir besser, also hoffe.«
Der Abschied von den Huangs war kurz; man soll nicht lange zögern, wenn man weggeht, denn jedes Wort ist wie ein Schnitt ins Herz. Jian küßte Lida, und zum ersten Mal schlang sie vor den Augen der Eltern die Arme um seinen Hals, drückte sich an ihn, streichelte seinen Nacken und seine Haare und hing an ihm, als solle er sie wegtragen zu seinem Wagen und mitnehmen in die große Stadt Kunming. Es kümmerte sie jetzt gar nicht, daß ein solches Benehmen gegen alle Sitte verstieß, obwohl der Hausmeister der Schule, der den Eingangsflur auskehrte, seinen Besen hinstellte, sich auf den Stiel stützte und zusah; er würde es allen im Dorf Huili erzählen, daß Huangs Tochter Lida öffentlich ihren Geliebten abgeküßt und der Lehrer nichts unternommen, sondern es schweigend geduldet hatte. Auch ein paar Kinder sahen zu, zwei Mädchen kicherten hell, und Chang sagte zu Jinvan: »Jetzt bleibt ihnen gar nichts anderes übrig, als zu heiraten. Oder Huang muß Jian töten, so wie es die Ehre einer Familie verlangt.«
»Warten wir es ab«, antwortete Jinvan nachdenklich. »Laß die Zeit entscheiden. Vier Jahre wollen erst durchlebt werden, und wie ein Magnolienbaum tausend Blüten trägt, ist auch der Mensch nur ein Baum, von dem tausend Blätter fallen.«
Jian riß sich von Lida los, stürzte fast zu seinem Wagen, stieg ein, zog die Tür zu, startete und fuhr davon, ohne noch einmal zu winken oder sich umzudrehen; er wollte Lidas Bild für die nun kommende Zeit seiner Abwesenheit mitnehmen.
An diesem Tag blieb der Büffel im Stall. Lida ging nicht mit ihm auf die Felder, sondern saß vor dem Haus auf der von Großvater Huang Yuan gezimmerten Bank und blickte auf die Straße, auf der Jian verschwunden war. Der Büffel wunderte sich, brüllte und rumorte und
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