Der Jadereiter
halten mußten.
»Ich glaube, ich habe verstanden, warum wir nach Pattaya fahren, aber wie wollen wir den Wachhund loskriegen?« murmelt Kimberley Jones mir ins Ohr.
»Ich habe einen Plan.«
»Das dachte ich mir schon.« Sie gähnt. »Ist dieser Iamskoij wieder so ein Urka-Gangster mit tätowierten kyrillischen Buchstaben auf der Stirn und einem Werbeprospekt, in dem auch von waffenfähigem Plutonium die Rede ist?«
»Nicht ganz.«
Pattaya ist ein Badeort, der ohne Staus etwa eine Autostunde von Krung Thep entfernt liegt, ein Ort, an dem das Gewerbe sich als das offenbart, was es tatsächlich ist, nämlich eine Industrie. Kimberley Jones hat ihren Lonely-Planet- Führermitgebracht, aus dem sie mir vorliest:
Der Jahresumsatz der Sexindustrie ist fast doppelt so hoch wie das Jahresbudget der thailändischen Regierung. (Wow!) Nur 2,5 Prozent aller thailändischen Sexarbeiterinnen sind in Bars tätig und 1,3 Prozent in Massagesalons. Die restlichen 96,2 Prozent arbeiten in Cafés, Friseurläden und Bordellen, die nur selten von nicht thailändischen Kunden besucht werden. Der größte Teil der Sexindustrie in diesem Land bleibt dem Touristen verborgen; man geht davon aus, daß Begegnungen zwischen Thais und Nicht-Thais weniger als 5 Prozent des gesamten Geschäfts ausmachen.
Kimberley Jones schließt das Buch und mustert mich mit einem Ausdruck, den ich auf ihrem Gesicht noch nicht gesehen habe: Demut? »Mit Prostitution habe ich mich nie beschäftigt. Natürlich kenne ich alle damit verbundenen Gesetze und weiß, wie ich eine Nutte in den Staaten hochnehmen kann; außerdem bin ich über die Tätigkeit von Gladys Pierson informiert, aber soziologisch habe ich das Ganze noch nie betrachtet. Das ist ein interessantes Phänomen in diesem Land. Ob die Prostitution an einem anderen Ort jemals solche Bedeutung hatte? Vermutlich sind die soziologischen Ursprünge höchst komplex. Bei meinem Besuch an der Nana Plaza habe ich einen vielleicht zweiundzwanzig- oder dreiundzwanzigjährigen Amerikaner gesehen, ausgesprochen attraktiv, ein richtiger Pin-up-Boy, bis auf die Tatsache, daß er keine Arme hatte. Die Mädchen dort haben ihn ganz ungezwungen genauso behandelt wie alle andern, ihn gefragt, wie er die Arme verloren hat, mit seinen Stümpfen gespielt – also gegen sämtliche Regeln des guten Benehmens verstoßen –, ihn begrabscht und gefragt, ob er sie ins Hotel mitnehmen will. Er hat von einem Ohr zum andern gegrinst; gleichzeitig standen ihm die Tränen in den Augen. Man muß nichts von Psychologie verstehen, um zu begreifen, was in seinem Gehirn vorging. Er war um die halbe Welt gereist, um wie ein ganz normaler Mann behandelt zu werden. Ich habe nicht den geringsten Widerwillen und auch keine Herablassung bei den Mädchen entdeckt. Sie haben nicht die gleichen Probleme mit Behinderungen wie wir, stimmt’s? Das waren junge, schöne Frauen mit vollkommenem Körper, und sie haben sich nichts daraus gemacht, daß der Mann keine Arme hatte.«
Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll, obwohl ich so etwas nicht zum erstenmal höre. Viele Amputierte besuchen die Nana Plaza. Nicht nur der Amputierten, sondern auch der in narzißtischen Kulturen als zu klein geltenden Männer nehmen sich unsere Frauen (die im Regelfall genauso klein sind wie sie oder noch kleiner) an. In deinem pingeligen Land, farang, wird der Alkoholismus als eine Form des Aussatzes betrachtet, bei uns hingegen ist er die harmloseste aller Krankheiten, kaum der Erwähnung wert. Auch Hasenzähne, Prothesen, graue Haare oder Glatzen sind kein Hindernis in unserer asiatischen Demokratie des Fleisches.
Als wir die Vororte von Pattaya erreichen, nimmt das Gespräch eine unerwartete Wendung. Kimberley Jones legt ihre Hand auf die meine. Das ist keine Anmache, sondern soll eher so etwas wie Zuneigung, vielleicht sogar Mitgefühl, ausdrücken. »Sonchai, ich glaube, ich verstehe den Fall soweit. Nicht so gut wie Sie, aber fast. Sie müssen mir sagen, was Sie als nächstes von mir erwarten, das ist nur fair. Ich habe über Sie und den Fall und Thailand nachgedacht, und ich bin immer noch hier, bin nicht in die Staaten geflohen, habe mich nicht bei meinen Vorgesetzten über Sie beschwert, Sie nicht erschossen und Ihnen nicht in die Eier getreten. Wenn Sie wollen, daß ich auch weiter hierbleibe, sollten Sie ehrlich zu mir sein.«
»Sie wissen, wer’s getan hat?«
»Ja.«
»Dann wissen Sie auch, warum sie moralisch gesehen unschuldig
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