Der Jadereiter
überhaupt nicht aufmacht.
Vielleicht habe ich Glück, denn eine Frau öffnet die Tür. Sie ist etwa sechsundzwanzig, hat blondgefärbte Haare, ein westliches Gesicht, volle Lippen und einen gierigen Blick, den sie offenbar für unwiderstehlich hält. Sie trägt ein schwarzes Kleid mit tiefem Dekolleté, das nur bis knapp über den Schritt reicht. Ihr Parfüm kann sich nicht mit dem meiner Mutter messen, aber vermutlich hat diese Frau auch nicht viel Zeit in Paris verbracht. Gerade als sie die Tür wieder schließen will, halte ich ihr meinen Ausweis unter die Nase.
»Andy«, ruft sie. Anstelle von Iamskoij taucht eine andere Frau in Shorts und T-Shirt auf, dann noch eine. Eine vierte trägt ein langes, am Hals züchtig geschlossenes Nachthemd. »Soll das eine Razzia sein?« fragt die erste Frau, eher neugierig als besorgt.
»Ich weiß es nicht«, antworte ich ihr, der Wahrheit entsprechend. »Ich möchte mit Andreew reden.«
Irgendwann gesellt sich Iamskoij zu der kleinen Schar von Frauen. Er ist großgewachsen und schlaksig und noch im Besitz fast aller Haare, was ihn jünger aussehen läßt als die gut fünfzig Jahre, die er bereits auf dem Buckel hat. Zuerst schaut er mich verwundert an, dann grinst er breit. Er scheint genau die richtige Menge Alkohol intus zu haben. »Sonchai!« ruft er aus. »Dich habe ich ja Ewigkeiten nicht mehr gesehen! Komm rein, mein Freund, komm rein.«
Beim Eintreten betrachte ich kurz das Gesicht von Kimberley Jones, um zu sehen, ob sie überrascht ist, denn, von den Frauen abgesehen, wirkt die Wohnung überhaupt nicht wie die eines Zuhälters. Es herrscht Unordnung, und den größten Teil dieser Unordnung machen die Bücher aus. Sie liegen überall, auf Regalen, auf dem Teppich, gestapelt in den Ecken, unter wackeligen Sesseln.
Kimberley Jones macht tatsächlich große Augen, aber hauptsächlich wegen der Frauen, die sie mit ihrem harten Blick und ihrem ebenso harten Russisch aus der Fassung zu bringen scheinen. Meiner unwesentlichen Meinung nach ist die FBI-Frau bedeutend attraktiver als sie alle, was vielleicht die Blicke erklärt. Ich glaube nicht, daß sie die Bücher wahrgenommen hat, also mache ich sie darauf aufmerksam. »Andreew ist der größte Bücherwurm, den Sie je kennenlernen werden. Schauen Sie nur: französische, russische, amerikanische, italienische Romane, aber die sind bloß seine Freizeitlektüre. Sein eigentliches Interesse gilt der Physik. Er hält sich immer noch über die neuesten Entwicklungen auf dem laufenden, stimmt’s, Andreew?«
Dies ist keine diplomatische Frage meinerseits. Sein Gesichtsausdruck wirkt einen Moment verbittert, dann reißt er sich zusammen und legt mir den Arm um die Schultern.
»Thais sind nicht wirklich sensibel, es gelingt ihnen nur, alles mit ihrer ritualisierten Höflichkeit zu übertünchen«, erklärt er Kimberley Jones. »Wenn Sie sich die wais und die anderen Förmlichkeiten wegdenken, haben Sie ein Volk, dem so ziemlich alles egal ist.« Er spricht mit starkem Akzent, aber grammatikalisch perfekt.
»Das habe ich auch schon festgestellt«, sagt Kimberley Jones. Als sie sich nun die Bücher ansieht, findet sie wie vermutet einen Zugang zu Iamskoij, dessen Exzentrik ihr so viel verständlicher ist als die meine. Sie hat Bücher über dieses Stereotyp gelesen, es vielleicht schon im Kino gesehen. Freundlich fragt sie: »Sind Sie wirklich Physiker im Ruhestand?«
»Arbeitslos. Entlassen. Rausgeschmissen. Reden wir nicht um den heißen Brei rum. Ich war schon unter Gorbatschow, dieser Superniete, auf dem absteigenden Ast.
Erwischt hat’s mich dann endgültig beim Zusammenbruch der Wirtschaft unter Jelzin, dem Säufer. Wir haben wirklich ein Händchen für unsere führenden Politiker.«
Er führt uns, immer noch über Gorbatschow und Jelzin klagend, ins Wohnzimmer, wo völliges Chaos herrscht. Die einzigen eindeutigen Orientierungspunkte sind drei offene, halbleere Wodkaflaschen auf einem Beistelltischchen aus Glas. Von meinem letzten Besuch weiß ich, daß es russische Sitte ist, immer mehr als eine Flasche gleichzeitig aufzumachen. Der eine Wodka ist mit Gewürzen versetzt, der andere hat Aprikosen- oder Apfelgeschmack, was dem Brauch der Thais ähnelt, verschiedene Dips für das Fleisch bereitzustellen. Natürlich gilt Wodka nur bei den Russen als Nahrungsmittel.
Ansonsten dauert es eine Weile, bis es mir gelingt, die einzelnen Gegenstände – nicht nur Bücher – auseinanderzuhalten. Ich entdecke
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