Der Jadereiter
wußte … woran Warren sonst noch dachte.«
Ich seufze. Für mich liegt die Antwort auf der Hand, doch offenbar spielt Intuition bei der amerikanischen Polizei keine Rolle. »Stimmt. Allerdings ergäbe sich ein Motiv für den Mord an Bradley, wenn dieser es gewußt hätte. Hören Sie sich den veränderten Tonfall in Phase 2 an. Wieso hätte Warren sich so jungenhaft aufgeregt ausgedrückt, wenn’s da nicht plötzlich um etwas ganz anderes gegangen wäre? Der Mann ist sein Leben lang im Schmuckhandel – wie könnte Bradley ihn durch eine Kopie des Jadereiters so in Aufregung versetzen?«
Kimberley Jones schüttelt den Kopf. Ihr Blick sagt mir, daß sie die unaussprechlichen Tiefen immer noch nicht erkennt, aber was soll’s. Wir haben jede Menge Arbeit vor uns. Die Schlangen sind nach wie vor ein Problem, und ich würde gern erfahren, von welchen Aktivitäten Warrens ich nach dem Willen von Vikorn und Suvit nichts wissen soll.
Während Kimberley Jones in die Botschaft zurückkehrt, um Fotos von Gladys Pierson zu holen, gehe ich in ein Internet-Café, wo ich einen Blick in die Bangkok Post werfe, eine englischsprachige Tageszeitung, die in Gänze im Internet veröffentlicht wird und ein ausgezeichnetes, zehn Jahre zurückreichendes Archiv besitzt. Als ich die zahllosen Artikel und Berichte durchgehe, die mir der Computer auf das Stichwort »Mord« liefert, merke ich, daß ich meine Zeit vergeude. Ich gebe »russische Prostituierte« ein, und sofort erscheint der Name »Andreew Iamskoij«. Die Wege des Karma sind unergründlich und unerbittlich. Überzeugt davon, daß ich nicht um eine weitere schreckliche Sitzung mit Iamskoij herumkommen werde, lasse ich die Sache mit dem Internet und zahle fünfzig Baht für fünfzig Minuten Nutzungszeit. Während ich auf das Wechselgeld warte, lasse ich den Blick über die etwa zwanzig Bildschirme in dem Café schweifen. Es sitzen ausschließlich Frauen zwischen Achtzehn und Dreißig davor, die sich gegenseitig mit englischen Formulierungen aushelfen. »Danke für … allai ?«
» Geld. «
»Schön, danke für das Geld.«
»Danke, Schatz, für das Geld.« Kichern.
Im Polizeirevier treffe ich die FBI-Frau, die es geschafft hat, die Motorradtaxifahrt von der Botschaft lebend zu überstehen. Unter den leuchtenden Augen des Wachhundes vergleichen wir Bilder der nackten Gladys Pierson mit denen der nackten Fatima. Kimberley Jones erklärt, daß die Fotos von Gladys Pierson Teil von deren ausgedehnter Marketingstrategie waren. Wir legen sie nebeneinander und schieben ein Blatt Papier über ihre Gesichter, die keinerlei Ähnlichkeit miteinander haben. Kimberley Jones und ich sehen uns an.
»Genau gleich!« sagt der Wachhund. »Der gleiche Körper! Sogar das gleiche Ding im Nabel.« Das ist besser als Space Invaders. Kimberley Jones holt ein Foto von der toten Gladys Pierson auf dem Tisch des Bestattungsunternehmers heraus. Die Augen des Wachhundes leuchten immer noch. Ich wende den Blick ab.
»Glauben Sie, daß er ihr das beim Geschlechtsverkehr angetan hat? Ich dachte, eine Nilpferdpeitsche ist sehr lang?«
»Wir haben Tests durchgeführt. Sie haben recht, die Peitsche hätte für diese Art der Penetration mindestens eins fünfundachtzig lang sein müssen. Wir sind der Ansicht, daß er einen Helfer hatte.«
»Ach«, sage ich. »Einen Helfer?«
»Es gibt Menschen, die zu so etwas bereit sind – Frauen wie Männer. Sie dürfen nicht vergessen, wie reich der Schmuckhändler ist. Sehen Sie, wie regelmäßig die Furchen sind? Wer das getan hat, wußte mit einer Peitsche umzugehen. Beim Anblick dieses Fotos fällt mir der Marquis de Sade mit seinem Kammerdiener ein.« Kimberley Jones holt ein weiteres Bild heraus, auf dem Gladys Pierson auf dem Rücken liegt.
»Die Brüste auch?«
»Ja. Könnten Sie das Monster rausschicken, bevor ich ihm in die Fresse haue?«
»Holen Sie uns einen Kaffee«, weise ich den Wachhund an.
40
Inzwischen sind wir so daran gewöhnt, zusammen auf dem Rücksitz des Mietwagens von Kimberley Jones zu sitzen, daß ich mir fast wie auf einem Sofa vor dem Fernseher vorkomme. Die Flirtphase ist nahtlos in die der sexlosen gegenseitigen Tolerierung übergegangen; die leidenschaftlichen Bettszenen dazwischen haben wir übersprungen. Vielleicht eignet sich die Situation als Beispiel postindustrieller Romantik. Dieser Gedanke wird auch durch den Wachhund nicht verdrängt, der auf dem Vordersitz fette Schweinswürste mampft, derentwegen wir an einer Garküche
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