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Der Jadereiter

Der Jadereiter

Titel: Der Jadereiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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bestimmte Weise versteht. Nichts ist für einen Buddhisten auch alles, weil nur das Nichts Realität besitzt.« Ein bißchen verlegen nimmt sie einen weiteren Schluck Wodka. Iamskoij und ich grinsen sie an. Plötzlich fängt Iamskoij zu klatschen an, und ich fühle mich verpflichtet einzufallen. Kimberley Jones wird rot, doch ich habe sie noch nie so glücklich erlebt.
    »Du hast ihr den Buddhismus erklärt?« fragt Iamskoij mich.
    »Nein. Ich hätte nicht gedacht, daß sie sich dafür interessiert.«
    »Und, tun Sie’s?«
    »Ich interessiere mich für diesen Trottel.« Sie deutet auf mich und nimmt noch einen großen Schluck Wodka.
    »Und der Buddhismus ist die einzige sichere Methode, an ihn heranzukommen. Bei dem Thema kommt man wenigstens ins Gespräch mit ihm.«
    »Das habe ich auch schon festgestellt«, pflichtet Iamskoij ihr bei. »Er hat diese typische Thai-Angewohnheit, urplötzlich einzuschlafen, aber sobald irgend jemand was von Wiedergeburt, Nirwana oder relativer Wahrheit erwähnt, wird er putzmunter. Das liebe ich so an diesem Land. Jeder hier hat eine spirituelle Dimension, sogar die Cops. Und die Gangster. Manche von ihnen unterstützen die Klöster und spenden Geld für die Armen. Das gibt zu denken.«
    »Was?«
    »Worum’s bei den letzten fünfhundert Jahren westlicher Zivilisation eigentlich ging. Wenn wir mit unserer Entwicklung im Mittelalter steckengeblieben wären, würden wir heute vielleicht genausoviel lächeln wie die Thais.«
    »Geben Sie mir noch einen Schluck Wodka, ja?« sagt Kimberley Jones zu mir. »Ich habe Ewigkeiten auf eine solche Unterhaltung gewartet. Das ist besser als in der Schule.«
    Wir hören Schritte auf dem Flur, und die Frau in dem Nachthemd kommt ins Zimmer. Nach Iamskoijs Bemerkung von vorhin mustere ich ihre Figur, so gut es geht. Sie ist schlank, hat blasse Haut, fast schwarze Haare und sehr, sehr grüne Augen. Ich könnte sie durchaus exotisch finden. Kimberley Jones schenkt ihr ein freundliches Lächeln von Frau zu Frau, das sie erwidert.
    »Das ist Valerija«, sagt Iamskoij. »Die Dame mit dem Doktortitel. Sehen Sie, sie hat unser Gespräch belauscht und sich unwiderstehlich angezogen gefühlt. Das gehört zu unseren zahllosen Fehlern: Wir Russen bleiben ewig Schüler. Wir reden immer noch in einer Weise über das Leben, die der Westen schon vor fünfzig Jahren abgehakt hat.«
    »Das ist besser, als Schwänze zu lutschen«, sagt Valerija, geht zu dem Beistelltisch, nimmt eine der Flaschen und trinkt daraus. »Außerdem habe ich den Abschluß noch nicht. Ich verdiene mir gerade das Geld für die Doktorarbeit.« Sie spricht englisch mit weniger starkem Akzent als Iamskoij, fast ein bißchen britisch. Jetzt erkenne ich ihre Härte, die Härte einer schönen abgebrühten Frau. Ich finde sie nicht mehr exotisch.
    »Hast du dir gestern abend im Kasino Geld für deine Doktorarbeit verdient?«
    Achselzucken, dann ein weiterer Schluck Wodka. »Was du über die Russen gesagt hast, stimmt. Wir verpulvern unser Geld gern für eine aussichtslose Wette. Ist das zu fassen? Der ganze Sex für nichts und wieder nichts. Wenn ich von der Spielerei loskommen könnte, wäre auch der Sex nicht nötig; das ist ein Nullsummenspiel. Aber ich müßte immer noch das Geld für meine Doktorarbeit auftreiben.«
    »In welchem Fach promovieren Sie?« will Kimberley Jones wissen.
    »In Kinderpsychologie.«
    Iamskoij und ich sehen das Entsetzen im Blick der FBI-Frau, doch Valerija scheint es nicht aufzufallen. Sie erzählt mit ernster Stimme, daß ein russischer Uniabschluß nicht mal in Rußland etwas wert ist, aber mit einem Doktortitel könnte sie wahrscheinlich einen Lehrauftrag an einer der amerikanischen Universitäten bekommen, denn sie hat sich auf die Erforschung der Kriminalität bei Straßenkindern spezialisiert, die es in Wladiwostok genauso gibt wie in New York oder Los Angeles. Sie würde wirklich gern in die Staaten gehen.
    Wie Iamskoij es vorausgesehen hat, wirkt unser halbintellektuelles Geplauder höchst verführerisch auf die drei anderen Frauen, die jetzt nacheinander auftauchen, zwei tiefgekühlte Wodkaflaschen in der Hand. Irgendwer bringt noch mehr Plastikbecher, und plötzlich sind wir mitten in einer Party. Trotz ihres vorübergehenden Entsetzens darüber, daß eine abgeklärte Prostituierte Kinderpsychologin sein kann, ist Kimberley Jones von Valerija eingenommen, die ihr so etwas wie eine intelligente Frauenfreundschaft zu bieten scheint. Möglicherweise läßt sich

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