Der Jadereiter
flexiblen Konzept macht.
Eigentlich ist es rührend: Ein tuntiger Mann geht in die einschlägigen Clubs, um sich verkleidet zu produzieren – ihm ist nur die Show wichtig, er ist einfach extrovertiert. Aber der echte Transsexuelle trägt für sich Frauenkleider und führt den Hund spazieren – er fühlt sich wohler darin und zieht sie auch im Alltag an. Er träumt davon, eine heterosexuelle Frau zu sein, und wenn er dann schließlich zu mir kommt, ist er bereit, alles, wirklich alles zu tun, um im Körper einer Frau leben zu können. Da solche Männer oft verheiratet und Väter sind, bedeutet das, daß sie nicht nur alles, was sie sich als Mann aufgebaut haben, aufgeben müssen, sondern auch Frau und Kinder.«
»Gibt es Frauen, die glauben, sie müßten ein Mann sein?«
»Natürlich, aber diese Operation ist sehr viel schwieriger. Eine künstliche Vagina aus einem männlichen Glied zu formen, stellt kein großes Problem dar, einen voll funktionsfähigen Penis jedoch schon. Sobald wir in der Lage sind, selbst einen einsatzfähigen Penis zu produzieren und ihn einfach anzunähen, werden die Frauen hier Schlange stehen, da bin ich mir sicher. Wir leben im Zeitalter der Unzufriedenheit. Jeder möchte sein, was er nicht ist.«
Der Arzt sah nicht aus, als hätte er selbst schon irgendwann ein anderer sein wollen. Er war ein bißchen rund, über Vierzig, doch was mich am meisten beeindruckte, war der goldene Glanz, der von ihm auszustrahlen schien: Er konnte sich Armut nicht einmal vorstellen. Wenn er auf thai über seine Arbeit sprach, verwendete er westliche medizinische Ausdrücke, oft auch amerikanischen Slang; als er merkte, daß ich Englisch verstand, wechselte er manchmal ganz in diese Sprache.
»Und hat die Person in diesem Fall alle Voraussetzungen erfüllt?«
Kaum merkliches Zögern. »Natürlich.« Eine kurze Geste der Hand. »Er war bereits ein Shemale, als er zu uns kam.«
»Shemale?«
»Ein monströses Modewort, ich weiß. Wir verwenden es, weil inzwischen jeder hier seine Bedeutung kennt. Ein Shemale ist ein Mann, der die gesamte Hormonbehandlung hinter sich hat, dem bereits Brüste gewachsen sind, der aber im Augenblick die Operation nicht vornehmen lassen möchte. Die Hormone geben ihm nicht nur ein weibliches Aussehen, sondern auch das Gefühl, eine Frau zu sein, doch er behält seine Sexualorgane, um weiter einen Orgasmus haben zu können. In einer homosexuellen Beziehung neigt er eher zum passiven Part.«
»Und Ihre Patientin – Fatima – befand sich in diesem Zwischenstadium, als sie zu Ihnen kam?«
»Zwischenstadium ist nicht ganz der richtige Ausdruck. Viele Männer leben so. Manchmal nehmen sie bis ins hohe Alter Östrogene.«
»Also wollte Fatima die Operation gar nicht vornehmen lassen, nur unter sehr günstigen Bedingungen?«
Dr. Surichai tippte stirnrunzelnd auf seinen Schreibtisch, fast der einzige nicht weiße oder beigefarbene Teil der Einrichtung. Die Vorhänge waren beige, die Wände weiß. Dr. Surichai trug einen weißen Kittel. Auch die geschwungenen Plastikstühle waren weiß, der Schreibtisch aus Kiefernholz, die Bilder hingen in Goldrahmen. Die Klinik vermittelte den Eindruck eines Zwischendings zwischen modernem Krankenhaus und Weltklassehotel.
»Ich weiß, worauf Sie hinauswollen, aber was soll man machen? Heutzutage hat jeder Zugang zu Wissen. Immer mehr Leute, die zu mir kommen, kennen die Antworten auf ihre Fragen bereits, weil sie alles im Internet nachgelesen haben. Jemand wie Fatima würde also sagen: Ja, ich wollte mit drei Jahren zum erstenmal eine Frau sein, und wenn ich Frauenkleider trage, produziere ich mich nicht in den Clubs, sondern gehe im Park spazieren.«
»Aber Fatima war doch ein Kind der Straße, ein Stricher ohne wirkliche Bildung?«
Dr. Surichai zuckte mit den Achseln. »Wenn Sie wissen wollen, ob jemand anders dahintersteckte, lautet meine Antwort ja.«
»Wer?«
»Was denken Sie? Wie Sie richtig sagen, war sie ein Straßenstricher, meine Hilfe hätte sie sich ohne einen Gönner nicht leisten können. Thailand ist in puncto Geschlechtsumwandlung führend auf der Welt. Wir haben nicht nur die nötige Mikrochirurgie, sondern auch die besten Fachärzte. Die Leute kommen von überallher zu uns. Montreal ist nicht schlecht, und auch in den Vereinigten Staaten gibt es einige gute Kliniken, die sich auf diese Techniken spezialisiert haben – das Johns Hopkins Hospital zum Beispiel –, aber die angelsächsische Welt ist in dieser Hinsicht
Weitere Kostenlose Bücher