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Der Jadereiter

Der Jadereiter

Titel: Der Jadereiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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Brüllen und astronomischen Grundstückspreisen entwickelt. Familien, die generationenlang nutzloses Land ihr eigen genannt hatten, wurden plötzlich von Immobilienmaklern und Baulöwen umworben und über Nacht Millionäre. Bangkok war der Nabel der Welt, und etwas Besseres kann eine Stadt wohl kaum sein, oder? Die magischen Worte »Wirtschaft im Aufschwung« brachten Hunderttausende von Fremden ins Land, die alle Unterkünfte nach internationalem Standard benötigten. Wohnanlagen schossen wie Pilze aus den dampfigen Feldern. Einige der besten von ihnen finden sich an der Sukhumvit Road zwischen der Soi 33 und der Soi 39, wo die Apartments mit jener Liebe zum Detail ausgestattet wurden, für die unsere japanischen Cousins zu Recht so berühmt sind. Jedes zweite Lokal und Geschäft hier ist japanisch; man kann zu allen Tages- und Nachtzeiten Sushi, Tapanyaki, Tofu, Harami, Tempura, Kushikatsu oder Otumani kaufen. An der Petchaburi Road, genauer gesagt am Ende der Soi 39, erheben sich die gigantischen Türme des Supalai-Komplexes. Der Wachmann im Eingangsbereich will die Bewohnerin des Penthouses über meinen Besuch informieren, doch mit fünfhundert Baht sowie der Androhung, ihn einzusperren, läßt er sich davon abbringen.
    Während ich mit dem Aufzug in den dreißigsten Stock fahre, frage ich mich, ob heute der Tag ist, an dem ich sie umbringen werde. Dagegen spricht, daß ich ein kleines Diktaphon dabeihabe.
    Es ist zehn Uhr fünfunddreißig morgens, als ich auf die Klingel neben der Eichendoppeltür drücke, die von chinesischen Göttern aus grünem, rotem und weißem Porzellan bewacht wird. Drinnen höre ich einen Fernseher laufen. Plötzlich Stille, als das Gerät ausgeschaltet wird. Nur das neurotisch feine Gehör eines Cop ist in der Lage, das Tappen nackter Füße auf dem Boden wahrzunehmen. Jetzt werde ich durch den Spion gemustert. Da macht sich jemand ernste Gedanken darüber, was er als nächstes tun soll.
    Es dauert fünf Minuten, dann höre ich das dumpfe Geräusch eines schweren Riegels, das Klicken mehrerer Schlösser, und schließlich stehe ich einer Ikone gegenüber.
    Obwohl ich sie zu dieser unchristlichen Zeit zu Hause überrasche, ist sie atemberaubend schön. Sie trägt einen grün-roten, an der Taille locker gebundenen Seidenkimono, die dichten schwarzen Haare offen auf die Schultern hängend, Perlenstecker und Ringe – dazu kommt ihr Designerkörper. Sie begrüßt mich mit einem bescheidenen Lächeln: » Sawadee ka. «
    »Guten Morgen, Fatima. Hübsche Wohnung.«
    »Kommen Sie doch rein.«
    Eine hochglanzpolierte Teaktreppe führt zum Schlafzimmer im oberen Bereich. Der Besucher ist sofort gefesselt von den Panoramafenstern mit wundervollem Blick auf die Stadt.

43
    Trotz ihres perfekten Äußeren glaube ich, die ersten Risse in ihrer Fassade zu erkennen. Lächeln, Stirnrunzeln, eine Geste – Fragmente der Persönlichkeit – kommen und gehen wie aus der Erinnerung heraufbeschworen, während etwas völlig anderes, nicht mehr Menschliches, sie zu beherrschen scheint. Ein paarmal habe ich das Gefühl, sie sieht mich zornig an, doch dann merke ich, daß hinter ihren Augen tiefste Schwärze lauert, wenn die Posen versagen.
    Ich schalte das Diktaphon ein.
    »Wir haben uns im Zug nach Chiang Mai kennengelernt. Ich war siebenundzwanzig und hatte die Barszene in Bangkok satt. Inzwischen starben nicht mehr so viele Jungs an AIDS, aber die Romantik hatte sich verflüchtigt. Die Kunden waren fast nur noch Schweine, weiße Schweine. Schwule weiße Männer in Südostasien sind nicht immer rücksichtsvoll. Ich bin mit dem Zug nach Chiang Mai gefahren, weil die Szene dort angeblich anders war. Alle, hieß es, seien so mit Opium und Heroin vollgepumpt, daß man gar nicht richtig arbeiten müsse. Ich war damals ein Stricher ohne Selbstachtung, ein armes, dünnes mädchenhaftes Ding mit Schwanz – Schmutz. Wie konnte ich auch etwas anderes sein, halb Schwarzer, hier aufgewachsen? Thais sind das rassistischste Volk der Welt, sie verachten die Schwarzen. Sie blicken sogar auf echte Thais mit dunkler Haut herab. Und ich bin … ziemlich dunkel.
    Ich habe mir ein Erste-Klasse-Ticket im Schlafwagen gegönnt, in einem Abteil ganz für mich. Als ich bei einer Zigarette bestimmt schon zum tausendsten Mal an Selbstmord dachte, ging plötzlich die Tür auf, und da stand er, ein prächtiger schwarzer Riese, den ich, so, wie er sich anzog und bewegte, nie für einen Soldaten gehalten hätte. Nur der grüne Seesack hat

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