Der Jadereiter
saugen alles auf, glauben jedes Wort und scheren uns nicht um die Widersprüche. Ich war also der perfekte Zuhörer für ihn. Ein paarmal die Woche, meist nach dem Genuß von ganja und Whisky, ist die Sache eskaliert; plötzlich waren wir uns sicher, daß die Pforten des Himmels sich öffnen und wir hindurchschreiten würden. Sie dürfen nicht vergessen, daß er unter Druck stand. Die Kredithaie ließen ihm keine Ruhe. Natürlich hätten sie ihn nicht umgebracht, aber sie wollten zwanzig Prozent Zinsen im Monat, da verliert man schnell den Überblick. Um drei Uhr morgens klingelte das Telefon, und der Typ, der dran war, sprach so schlechtes Englisch, daß ich mir die Drohungen auf thai anhören mußte, damit ich sie übersetzen konnte. – Das übliche: Was sie mit seinem Körper und seinem Gesicht machen würden, besonders mit seinem Gesicht. Diese Leute sind nicht dumm, sie kennen die Schwächen der Menschen.«
»Und zu der Zeit waren Sie noch …«
»Noch ein Mann? Ja. Die Geschlechtsumwandlung kam später. Ich würde sagen, wir haben gemeinsam beschlossen, daß ich das Östrogen nehme. Das hat sich so ergeben, war sozusagen eine Familienentscheidung. Eines Nachts lagen wir betrunken im Bett; er streichelte mich, und ich fragte ihn, ob es ihm gefallen würde, wenn ich Titten hätte. Von selbst wäre er wohl nicht auf die Idee gekommen. Zuerst war er schockiert, aber dann hat er es vielleicht als Lösung wenigstens eines seiner Probleme gesehen. Wenn er eine Frau aus mir machte, konnte er ja behaupten, nicht schwul zu sein, stimmt’s? Doch das hatte ich nicht im Sinn gehabt. Für mich wäre das Östrogen etwas anderes gewesen, eine …«
»Erweiterung der sexuellen Möglichkeiten?«
»Genau. Also besorgte ich mir welches, und siehe da: Die Brüste begannen tatsächlich zu wachsen. Das hatte eine seltsame Wirkung auf ihn; er fing plötzlich an, sich Gedanken darüber zu machen, wie er meinen Körper verändern könnte. Ich sagte: ›Schatz, ich komme mir vor wie ein Stück Jade, das du bearbeitest.‹ Er lachte, aber es stimmte. Und das komische war, daß sich zu der Zeit alles zum Besseren zu wenden schien. Ein sehr, sehr großer Fisch im amerikanischen Schmuckhandel hatte sich mit ihm in Verbindung gesetzt, und es sah so aus, als würde sich daraus ein Geschäft ergeben. Nichts Großes am Anfang, doch immerhin ein Hoffnungsschimmer. Und dieser Schmuckhändler – damals hat er mir seinen Namen nicht verraten – wollte Bills Schulden für ihn begleichen. Mein Gott, es war, als würden sich alle Wolken gleichzeitig verziehen, und das hatten wir nur diesem tollen Typ aus Amerika, diesem Schmuckhändler, zu verdanken, den ich erst später kennenlernte. Wenn er einmal im Monat in Krung Thep war, hat er sich – wahrscheinlich in seinem Hotel – mit Bill getroffen und die ganze Nacht mit ihm übers Geschäft gesprochen.«
»Die ganze Nacht?«
»Ja. Ich war auch mißtrauisch. Ich meine, es ist üblich, daß Geschäftsleute aus dem Westen oder aus Japan erwarten, bei solchen Gesprächen nach bester Bangkok-Tradition verwöhnt zu werden. Aber mir war das letztlich egal. Ich hielt es sogar in gewisser Hinsicht für gesund. Nach allem, was ich wußte, mochte dieser Schmuckhändler Frauen, und ich dachte, nun, wenn Bill hin und wieder eine Möse sieht, tut ihm das sicher gut. Er war immer noch ziemlich durcheinander darüber, daß er eine ernsthafte Beziehung mit einem Mann hatte. Vielleicht brauchte er den Ausgleich. Jedenfalls war dieser Schmuckhändler irgendwann unser Mann Nummer eins, und er bekam alles, was er wollte. Zu der Zeit tauchten nach und nach alle möglichen Dinge in unserem Haus auf: Silbersachen, Keramiken, Kunsthandwerk, Dinge, die ich in meiner damaligen Naivität für sehr, sehr wertvoll hielt, die aber nur Überbleibsel aus dem Lager des Schmuckhändlers waren.«
»Sie haben zusammen die Bars besucht?«
»Das weiß ich nicht. Der Typ war so reich, daß sie bestimmt Privatpartys in seiner Hotelsuite feierten. Bill hat mal was von einem russischen Zuhälter und sibirischen Frauen erwähnt.«
»Wie hat Bill nach solchen Treffen auf Sie gewirkt?«
»Anfangs war er belustigt darüber, daß dieser angesehene Mann, der den Präsidenten, Senatoren und andere Politiker kannte, einen solchen sexuellen Heißhunger hatte. Mehr hat er mir nicht erzählt, um mich nicht zu verletzen. Dann ist er einmal drei Tage weggewesen, und hinterher war er völlig
Weitere Kostenlose Bücher