Der Jadereiter
Er hat mich nie geschlagen, kein einziges Mal. Nicht mal seine Sexualität fiel aus dem Rahmen. Natürlich war er der Dominante, aber eher wie ein Kaiser, der Verehrung erwartet, nicht wie ein Sadist, der Unterwerfung fordert. Ich hoffte, daß sich alles irgendwie zum Guten wenden würde. Schließlich sprach er die ganze Zeit vom Ruhestand in Bangkok. Ich dachte:
Warum bringst du dein Coming-out nicht hier hinter dich? Was hast du denn zu verlieren? Dann kannst du den Rest deines Lebens in Freiheit und Liebe verbringen. Mit mir. Ich hätte mich um ihn gekümmert, und wie! Aber natürlich läuft es nie so, wie man es sich wünscht; es gibt immer irgendwas, das einen wieder runterzieht, genau dann, wenn man meint, davongekommen zu sein.«
»Hat er sich damals schon für Jade interessiert?«
»Die Jade, ja. Ich glaube, einer seiner Träume für den Ruhestand war, Schmuckhändler zu werden. Schon in seiner Zeit im Jemen und all den anderen schrecklichen Ländern hat er sich ausgemalt, von Thailand aus Jade, vielleicht sogar selbst entworfene Stücke, in die USA zu exportieren. Mein Gott, das ist fast, als wollte ich Marine werden. Ich kenne mich nicht wirklich aus, aber meiner Meinung nach kommt man hier nur in den Schmuckhandel rein, wenn man Chinese ist oder sehr gute Kontakte zu den Chinesen hat. Natürlich hätte ich ihm das nie gesagt. Ich habe ihm geholfen, allerdings mit einem unguten Gefühl, das muß ich zugeben.«
»Sie haben ihm geholfen?«
»Er brauchte einen Dolmetscher für die Gespräche mit den Leuten, auch mit Angehörigen der Bergstämme, zum Beispiel den Karen, meinem eigenen Volk. Ich war ihm sehr nützlich. Damals habe ich noch Stricherenglisch gesprochen, nicht so wie heute. Daß sich das geändert hat, habe ich ihm zu verdanken.
Es gelang uns sogar, Jade zu kaufen und sie von Handwerkern in Chinatown zu Schmuckstücken verarbeiten zu lassen. Irgendwann mußte ich ihm allerdings sagen, daß sie uns auslachten. Die Jade war drittklassig, und seine Entwürfe hatten auch nicht gerade Spitzenniveau. Der Penis auf der Homepage war sein bestes Werk. Natürlich hat er ihn nach seinem eigenen geformt. Sogar ich habe mich gefragt, wie er auf die Idee kam, daß eine Homepage mit einem Schwanz sein Leben verändern könnte. Doch diese Homepage sollte wohl so etwas wie sein Coming-out sein, seine Art, der Welt zu sagen, was er war: ein schöner, perfekt geformter Schwanz.
Dann ist es allmählich abwärts gegangen. Er hatte sich eine Menge Geld für den Kauf und die Verarbeitung der Jade geliehen. Ich dachte, von einer Bank; erst zu spät wurde mir klar, daß es von den Kredithaien der Chiu Chow war. Wie dumm von ihm. Glaubte er vielleicht, er würde als Marine besonderen Schutz genießen? Meinte er, der Präsident der Vereinigten Staaten würde einen Flugzeugträger schicken, wenn er Probleme mit den Chiu Chow bekäme? Er konnte ziemlich naiv sein. Vielleicht hing es mit seiner Zeit bei den Marines zusammen, daß er Dinge manchmal einfach nicht begriff. Damals hat er die Kontrolle über seinen Alkohol- und ganja- Konsumverloren. Hin und wieder mußte er sich ein Attest schreiben lassen, weil er nicht in der Lage war zu arbeiten. Er hatte schreckliche Angst vor unangekündigten Drogentests. Etwa zu der Zeit fing er an, mir vorzuwerfen, ich hätte sein Leben zerstört, und er beschimpfte mich, wie alle Stricher beschimpft werden, wenn ihr Partner ausflippt. Trotzdem hat er mich nie geschlagen. Ich glaube, er war kein von Natur aus gewalttätiger Mensch. Man mußte ihn bis aufs Blut reizen, aber das wußte ich seinerzeit noch nicht. Ich wußte nur, daß wieder mal alles schieflief. Unbeabsichtigt hatte ich dem Mann, den ich liebte, Unglück gebracht. Ich hielt ihn zum Beten an. Ich war Christ, genau wie er – anfangs begriff er nicht, daß jemand wie ich an Gott glauben konnte. Also haben wir zusammen gebetet, und manchmal denke ich, das hat alles noch schlimmer gemacht.«
»Wieso?«
»Weil er sich reinsteigerte, sich eine Bibel kaufte und anfing, mir Vorträge über die Erlösung zu halten. Das ging Stunden so, besonders, wenn er eine Flasche Mekong intus hatte, und ich saß voller Bewunderung zu seinen Füßen. Es war wie bei den amerikanischen Predigern im Fernsehen: hemmungslose Emotionen und unerschütterlicher Glaube an die Gnade Gottes. Wir Karen sind so etwas wie religiöse Groupies, wir lieben Götter. Bei uns sind schon alle möglichen Missionare gewesen: Christen, Buddhisten, Moslems. Wir
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