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Der Jadereiter

Der Jadereiter

Titel: Der Jadereiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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schwierig.«
    »Aber er war ein bißchen seltsam?«
    »Er war besessen vom Gedanken an die Krankheit, besessen davon, sie nicht zu bekommen, doch auf keinen Fall hätte er sich eine andere Tätigkeit gesucht, auch wenn das möglich gewesen wäre. Vielleicht sollte man in seinem Fall eher von einer Todesobsession, nicht so sehr von einer Todessehnsucht, sprechen.«
    »Im buddhistischen Sinn?«
    »Vielleicht. Er sagte, er meditiere über den Tod, denn der sei die einzige Realität. Meiner Ansicht nach war er kurz davor, den Verstand zu verlieren. Wie viele seiner Freunde kann man mit achtzehn sterben sehen, ohne verrückt zu werden?«
    »Wann hat er aufgehört, zu Ihnen zu kommen?«
    Er sieht mich kurz an. »Das müßte ich nachschauen, ich glaube, vor acht oder neun Jahren. Jedenfalls bevor ich mir diesen verdammten Computer zugelegt habe, also muß ich die Akten raussuchen.«
    »So wichtig ist es nicht. Sie haben ihn nie in Gesellschaft eines schwarzen Amerikaners gesehen? Eines sehr großen Mannes, eines Marine?«
    »Nein, nie.«
    »Er hat Ihnen auch nicht gesagt, daß er eine Geschlechtsumwandlung vornehmen lassen wollte?«
    Der Arzt hebt die Augenbrauen. »Hat er das getan?«
    »Überrascht Sie das?«
    Stirnrunzeln. »Ja.«
    »Warum? Das ist doch nichts Ungewöhnliches, oder?«
    »Nicht in Thailand, nein. Aber man bekommt ein Gefühl für die betroffenen Männer und Frauen: Manche von ihnen sind gewiefte Geschäftsleute, die nur so lange im Gewerbe bleiben, bis sie genug Geld für eine Bar oder einen Friseurladen haben. Andere wiederum sind Versager, wie man sie überall auf der Welt findet. Sie verkaufen nicht nur ihren Körper, sondern auch ihre Persönlichkeit – sie versklaven sich. Die Leute, die sich für eine Geschlechtsumwandlung entscheiden, gehören normalerweise der zweiten Gruppe an. Da sie ohnehin keine nennenswerte Persönlichkeit besitzen, haben sie nichts zu verlieren. Ich hätte nicht gedacht, daß er zu dieser Gruppe gehört. Ja, er war stockschwul, aber er hatte einen starken Willen und einen scharfen Verstand. Er wußte genau, wer er war.«
    »Also nicht unbedingt ein Kandidat für eine solche Operation?«
    »Ich bin kein Seelenklempner, woher soll ich das wissen? Ich arbeite ja nicht mal mehr als richtiger Mediziner, führe nur noch die Bluttests durch, weil mir das andere zu anstrengend ist.«
    »An den Wänden seines Apartments hingen Fotos von AIDS-Kranken.«
    »Kann ich mir bei ihm gut vorstellen.«
    »Ich glaube, er hat sie stundenlang angestarrt.«
    »Natürlich.«
    Draußen auf der Silom Road komme ich an einer Buchhandlung mit einer neuen Pol-Pot-Biographie vorbei. Vom Buddhistischen Pfad gibt es wie von jedem anderen Abweichungen. Pol Pot war Mönch gewesen, bevor er eine Million Menschen aus seinem eigenen Volk in den Tod schickte. Manchmal wird die Realität des Todes zum überwältigenden Zwang.
    Im River-City-Einkaufszentrum halte ich kurz inne, bevor ich mit der Rolltreppe zu Warrens Geschäft hinauffahre. Ich bin nervös, ohne zu wissen, warum. Nun, vielleicht weiß ich es doch. Fatima hat Bradley ermordet – und Pichai. Also muß ich sie umbringen, oder? Aber wie soll ich den Jungen töten, der in einem Wohnloch ganz ähnlich dem meinen saß, um seine toten Freunde weinte wie ich und sich fragte, was zum Teufel das alles sollte – genau wie ich? Als ich oben eintreffe, ist sie nicht da. Ein ausgesprochen gepflegter junger Mann, vielleicht schwul, vielleicht aber auch nicht, bedenkt mich mit einem mißbilligenden Blick, als ich den Laden betrete. Ich verabschiede mich hastig, froh, heute niemanden umbringen zu müssen. Daheim in meinem Apartment bin ich wieder Ussiri, der in seinem Zimmer über den Tod meditiert. Vermutlich war er schon auf einer tiefen Ebene seines Inneren angelangt, als er Bradley kennenlernte.
    Jetzt richten sich meine Gedanken auf praktischere Dinge. Ich wähle auf dem Handy die Nummer eines Angestellten im Lands Department und verspreche ihm tausend Baht, wenn er mit Hilfe seines Computers ein paar Dinge überprüft. Er ruft mich eine halbe Stunde später zurück, um mir eine Adresse zu geben.
    Wenn Sie eine Nutte – auch eine im Ruhestand – zu Hause antreffen wollen, sollten Sie sie am Morgen besuchen. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Obwohl Nong beispielsweise schon mehr als zehn Jahre nicht mehr im Geschäft ist, steht sie nie vor elf auf.
     
    Mitte der neunziger Jahre hatte Thailand sich zu einem potentiellen asiatischen Tiger mit teurem

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