Der Jadereiter
Königreichs ohne soziale Sicherheitsnetze in den Ruin treiben, während der Westler sich immerhin einen gewissen Schutz gegen solche Katastrophen erworben hat, doch im Alltag führt der Thai immer noch ein beneidenswert unbekümmertes Dasein. Viele Westler glauben, der Thai lebe in einem Paradies der Narren. Vielleicht, aber darauf könnte der Thai erwidern: Hat der Westler sich nicht eine Hölle der Narren eingerichtet?
Man kann nur Mitleid haben mit Beckendorf, wie er uns zwischen seinen Büchern hervor anblinzelt, und ihm bei Gott (oder Buddha) wünschen, daß er endlich seinen Mut zusammennimmt, aussteigt, sich yaa-baa besorgt, in einer Disco eine Frau aufreißt und mit ihr ins Bett geht. Ich weiß nicht, wieso er mir einfällt, als ich mit dem Motorradtaxi in Richtung Warren Fine Art im River City brause. Soweit ich weiß, haben Warren und Beckendorf nichts gemein; man könnte sogar sagen, daß sie die entgegengesetzten Enden des farang- Spektrums repräsentieren, wobei Beckendorf trotz seiner komplizierten Ausdrucksweise mit seiner Naivität und Leichtgläubigkeit der ewige Student ist und Warren der ultimative Zyniker. Aber sie sind nun mal beide farangs und sehen ihr Leben lang ein wenig wehmütig über die Mauer, obwohl »wehmütig« natürlich nicht das erste Wort ist, das mir im Zusammenhang mit Warren in den Sinn kommen würde. Vielleicht versuche ich nur, die tiefere Bedeutung eines Telefongesprächs zu ergründen, in dem Warren mich vergangene Nacht gegen zwölf eingeladen hat, heute, also am Sonntagmorgen, »einen Blick auf meine Waren« zu werfen. In der Stimme schwang tatsächlich eine Spur Wehmut, ja Schüchternheit mit, als wollte er mir etwas Persönliches mitteilen, das sich nur schwer in Worte fassen ließ. Ich hatte sogar den Eindruck, daß er kurz davor stand, mit etwas herauszuplatzen – wieder ein Wort, das sich mir bei Warren nicht gerade aufdrängt –, als Fatima ihm zu Hilfe kam und mich mit ihrer kehligen Stimme auf thai fragte, ob ich so gegen elf vorbeischauen könnte. Sie machte klar, daß Kimberley Jones nicht eingeladen war. Sofort nach Beendigung des Gesprächs mit Fatima rief ich die FBI-Frau an, und Kimberley Jones stellte wieder die Frage, die sie schon seit Tagen stellt: Warum arbeitet Fatima nach dem Mord an Bradley für Warren? Das paßt weder zu unserer Hypothese noch zu dem Eindruck, den ich hatte, als ich Fatima in ihrer Wohnung besuchte. Wir haben sicher schon zwanzig Theorien diskutiert, finden aber einfach keinen Grund, warum Warren ein Interesse daran gehabt haben sollte, Bradley durch Fatima beseitigen zu lassen. Das paßt nicht zum psychologischen Profil, das das FBI von Fatima erstellt hat, es paßt auch nicht zu Fatimas mir gegenüber ausgesprochener Absicht, Warren zu töten. Es paßt zu überhaupt nichts. Ich erwarte kein Geständnis, als ich mit der Rolltreppe hinauf zu Warren Fine Art fahre.
Das Gitter vor dem Geschäft ist geschlossen; Fatima staubt im Innern die fast zwei Meter hohe Skulptur des Gehenden Buddha ab. Sie trägt eine grauweiße Bluse, ihre große Perlenkette sowie eine schwarze dreiviertellange Seidenhose im vietnamesischen Stil. Ich starre sie durchs Fenster hindurch an. Sie scheint meinen Blick zu spüren, begrüßt mich mit einem herzlichen Lächeln wie einen alten Freund, öffnet per Knopfdruck das Gitter und läßt es hinter mir wieder herunter. Ihr Grinsen scheint zu sagen: So, jetzt ist es richtig gemütlich.
»Sie waren phantastisch neulich abend«, sage ich, und ich meine es ernst. »Ich habe noch nie eine so gute Interpretation dieses Lieds gehört.« Sie lacht ein wenig verschämt; ihre Augenlider flattern.
Während unseres kurzen Gesprächs ist der Khmer, der letztes Mal die Uzi in der Hand hielt, aus einer Seitentür getreten. Diesmal hat er die Waffe nicht dabei, führt sich aber auf, als wäre es so. Mit einem schrägen Blick in meine Richtung läßt er sich gegen die hintere Wand sinken. Fatima nimmt den Telefonhörer, wählt eine Nummer. »Mr. Warren, Detective Jitpleecheep ist hier«, sagt sie. »Er ist im Lager«, erklärt sie mir auf thai. »Er kommt gleich. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Grünen Tee, Cola, Whisky, Bier?«
Ich schüttle den Kopf. Wir sehen uns eine ganze Weile an. Ich bin verunsichert, verstehe den Grund dieses Treffens nicht. Als sich die Gelegenheit ergibt, versuche ich, kurz darüber zu meditieren, was los ist, aber ich begreife weder sie noch den Khmer. Alles ist unnatürlich,
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