Der Jadereiter
Grund heute abend hier mit Ihnen essen. Und jetzt müssen wir uns wieder den Realitäten zuwenden.«
Sie gab sich keine Mühe, nicht arrogant zu wirken, als sie dem Kellner signalisierte, er solle die Rechnung fertig machen. Sie zahlte mit einer Gold-Card von American Express, und ich mußte fast in Laufschritt verfallen, als sie um den Swimmingpool herum und zwischen dichten Bougainvilleen und roten Hibiskussträuchern hindurchmarschierte. Schließlich landeten wir vor der Bamboo Bar, dem berühmten Jazzclub des Hotels. Kimberley Jones warf einen Blick auf die Uhr, bevor sie mich hineindirigierte. Sie bat den Kellner um einen diskreten Fenstertisch für zwei. Die Korbstühle hatten dicke Polster, die Klimaanlage sorgte für eisige Temperaturen, die gekühlten Margaritas mit den Salzrändern an den Gläsern geizten nicht mit Tequila. Wir kamen gerade rechtzeitig zur ersten Nummer. Der Conferencier kündigte »die atemberaubende, unvergleichliche Schwarze Orchidee« an. Begeisterter Applaus vom Stammpublikum, dann spielte die kleine Band ein paar Takte, und sie betrat die Bühne.
Natürlich sang sie »Bye Bye Blackbird«. Das Lied war kitschig, ja, aber auch wunderschön, mit einer Melancholie, wie ich sie nie zuvor gehört hatte. Ich hätte nicht gedacht, daß sie auch wie eine Frau singen könnte. Kimberley Jones kostete meinen schockierten Gesichtsausdruck weidlich aus.
»Sie ist nicht schlecht. Natürlich kein Profi, und Jazz außerhalb der Staaten ist immer ein bißchen enttäuschend, aber wirklich nicht schlecht.«
Ich merkte, daß Kimberley Jones die ganz besondere Qualität von Fatimas Stimme nicht wahrnahm, die ich »Herz« nennen würde: Build the fire, light the light, I’ll be home late tonight, blackbird, bye bye.
Nein, »Herz« traf es doch nicht richtig. Das war eher der Klang eines gebrochenen Herzens, dessen Scherben sich in der übermächtigen Traurigkeit des Universums auflösten. Die Fähigkeit, das zu hören, ist möglicherweise das einzige Privileg der Besitzlosen. »Stimmt«, sagte ich und nippte an meinem Margarita, »nicht so gut wie eine Amerikanerin, aber nicht schlecht.«
»Schauen Sie nach halblinks. Bewegen Sie dabei nicht den Kopf.«
»Ich hab sie schon gesehen.« Warren und – ein Triumph für Kimberley Jones, wenn ich ihren Gesichtsausdruck richtig deutete – Vikorn. Ich sagte ihr, daß es sich bei dem kleingewachsenen gepflegten Thai-Mann in ihrer Gesellschaft um Dr. Surichai handelte. Sie waren gebannt von Fatima und kamen gar nicht auf die Idee, sich umzudrehen, aber die Diva mit dem langen, purpurfarbenen Seidenkleid und der schweren Perlenhalskette schaute in unsere Richtung. Als sie mich entdeckte, geriet sie einen Moment aus dem Takt. Nein, ein Profi war sie wirklich nicht. Doch sie erholte sich schnell von ihrem Schreck, und die Band überspielte ihren Fehler. Bereits wenige Sekunden später legte sie den Kopf ein wenig schräg und fixierte mich mit ihrem Blick, während sie sang: No one there to help or understand me, oh what hard-luck stories they all hand me …
»Ich möchte gehen«, erklärte ich Kimberley Jones mit weinerlicher Kleinmädchenstimme. Dabei kaschierte ich – das muß ich leider zugeben – ein kurzes Schluchzen mit einem Hüsteln. Wir warteten, bis Fatima mit dem Lied fertig war, dann verließen wir die Bar im Schutz des Applauses.
»Ziemlich bald nach Kennedys Beschluß, Militärberater nach Laos zu schicken, wurde den Leuten von der CIA klar, daß sie ein Problem hatten«, erklärte mir Kimberley Jones auf dem Rücksitz des Taxis. »Es war übrigens die CIA, die den Krieg dort führte, von Anfang bis Ende. Es ging ums Opium. Die Franzosen in Indochina hatten damit überhaupt kein Problem, sie betrachteten den Handel als Staatsmonopol, hatten sogar Lagerhäuser unter Zollverschluß in Vientiane und Saigon. Als Amerika sich dann einmischte, hieß es plötzlich: kein Opium mehr. Sieht uns ähnlich, daß wir das Rad neu erfinden wollen, was? Aber dieser noble Gedanke wurde nur ungefähr zehn Minuten alt, und zwar aus folgendem Grund: Die laotischen Streitkräfte besaßen eine einzigartige Eigenschaft – sie kämpften nicht. Nie, nirgends und gegen niemanden, am allerwenigsten gegen die reguläre nordvietnamesische Armee, die ihnen eine Heidenangst machte. Die einzigen Kampfbereiten waren die Hmong, ein Bergvolk im Norden, das sehr zur Freude der Laoten durch die Ho Chi Minh bedrängt wurde. Amerikaner lieben Mut, Kampf und Kämpfer, und die
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