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Der Jadereiter

Der Jadereiter

Titel: Der Jadereiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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stimmt irgendwie nicht. Vielleicht ist der Khmer so etwas wie ihr Wachhund; möglicherweise hat Warren einen Beweis für ihren Mord an Bradley und nutzt ihn sowie den Khmer-Wächter, um sie in Schach zu halten. Das ist die Lieblingstheorie von Kimberley Jones; sie paßt zu den Fakten, aber nicht zu der Stimmung. Natürlich hat die FBI-Frau keinerlei Geduld für die Erforschung atmosphärischer Störungen, und sie glaubt, daß ich in eine Falle gelockt werde. Es könnte ja sein, daß Warren mich mit Zustimmung Vikorns töten läßt. Es ist mir gelungen, Kimberley Jones durch meine Gleichgültigkeit dieser Möglichkeit gegenüber in Rage zu bringen. Nach der Beendigung des Gesprächs mit ihr meditierte ich mit einem Joint und ging ins Bett. In meinen Träumen besuchte Pichai mich mit einem strahlenden Lächeln.
    Warren betritt den Raum durch eine Tür am anderen Ende des Geschäfts, gefolgt von einem zweiten Khmer, der die Uzi dabeihat. Der Amerikaner trägt ein Gold-Paisley-Halstuch, einen cremefarbenen Kaschmirpullunder, ein marineblaues Sportsakko aus superfeiner Wolle, eine graugrüne Zegna-Hose sowie Baker-Benje-Slipper, die ich voller Neid betrachte. Er nimmt seine Zigarettenspitze aus Jade in die linke Hand, um mir die rechte reichen zu können. Wie üblich gelingt es mir nicht, seine Gedanken zu lesen; sein Schutzpanzer ist zu dick für meine Dritte-Welt-Hexerei. Doch sein Gesicht wirkt ein wenig müde, und seine Rasur ist nicht ganz geglückt – an der Unterseite seines Kiefers befinden sich noch ein paar Stoppeln. Als er sich mir nähert, glaube ich, den Duft von Joël Rosenthal, dem Schmuckhändler in der Pariser Rue de Castiglione Nummer vierzehn, zu erkennen, der seine eigenen Parfüms herausbringt, und ich frage mich, ob das ein versteckter Hinweis ist: ein Schmuckhändler, der zum Parfümeur geworden ist.
    »Schön, daß Sie kommen konnten«, begrüßt Warren mich mit seinem üblichen Charme, und ich habe tatsächlich das Gefühl, daß er sich freut, mich zu sehen. Ich antworte mit einem Nicken und warte. Mit einem Gesichtsausdruck, der mich fast an ein Augenzwinkern erinnert, bittet er mich, ihm quer durch das Geschäft zu dem Regal zu folgen, auf dem der Jadereiter steht. Er nimmt ihn in die Hand, hält ihn ins Licht und reicht ihn mir. Wie immer bei Jade ist die Berührung eine sehr sinnliche Erfahrung; ihr Gewicht steht im Widerspruch zur Leichtigkeit des künstlerischen Entwurfs. Ich weiß sehr wenig über Edelsteine, doch eine innere Stimme bringt mich dazu, einen intelligenten Kommentar abzugeben, den ich in etwas gestelztem Englisch präsentiere: »Das Stück ist so vom Licht durchdrungen, daß es aussieht, als könnte es jeden Augenblick davonfliegen. Aber wenn man es in die Hand nimmt, merkt man, daß es mit der Erde verbunden ist, daß ihr Gewicht, ihre Kälte und Dunkelheit immer noch darin eingeschlossen sind, obwohl es auch die Luftigkeit der spirituellen Welt ausdrückt.«
    Solche Äußerungen sind alles andere als typisch für mich, und einen Moment fürchte ich, übertrieben zu haben. Doch Warren ist ungewöhnlicher Stimmung, und meine prätentiösen Worte haben, inspiriert von Buddha, seinen Schutzschild durchdrungen. Einen Augenblick lang gerät er aus der Fassung. Er starrt mich mit der Feindseligkeit eines Menschen an, der sich ertappt fühlt, dann faßt er sich, berührt meinen Arm mit einer sanften Geste (ich glaube, ein leichtes Zittern seiner Hand dabei zu spüren) und nimmt mir das Stück wieder ab.
    »Bradley hat den Reiter für mich kopieren lassen«, erklärt er. »Und ich habe jemanden geschickt, der ihn mir zurückbringen sollte – schließlich gehört er mir. Vermutlich den falschen Mann, aber Sie dürfen nicht vergessen, daß Bill erst kurz zuvor ermordet worden war. Ich hatte keine Ahnung, was ihn in dem Haus erwarten würde, also habe ich mich für jemanden entschieden, der sich auch härter zupacken traut. Ihre Verletzung tut mir leid. Wenn die Narbe zu häßlich ist, kann ich dafür sorgen, daß sich jemand in den Vereinigten Staaten darum kümmert.« Er sieht mir tief in die Augen, als er das sagt. Wenn ich ihn nicht besser kennen würde, könnte ich das für einen Hilfeschrei halten. Seine Augen werden feucht. Fatima und die beiden Khmer wenden den Blick nicht von uns.
    »Fatima hat mir erzählt, daß Sie und die Frau vom FBI letzte Woche hier waren«, sagt er, jetzt wieder gefaßt, während er den Jadereiter zurück ins Regal stellt. »Also habe ich mir gedacht,

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