Der Jadereiter
drückt die Chanel-Tasche gegen ihren Körper. Ein düsterer Ausdruck huscht über ihr Gesicht; sie zuckt mit den Achseln. Warren sieht sie vom anderen Ende des Raums aus an, gibt einen grunzenden Laut von sich und greift ins Schaufenster, um den weißen Tiger herauszuholen. Er hält ihn hoch, damit ich ihn betrachten kann, und ich bekomme das unheimliche Gefühl, daß er Kimberleys bewundernde Ausführungen darüber gehört hat. Den Kenner schreckt ein solches Stück ab.
»Begleiten Sie mich nach unten ins Lager«, sagt er und reicht mir den Tiger. Ich lasse ihn fast fallen, so erstaunt bin ich darüber, daß er mir ein derart wertvolles Stück anvertraut, und vermutlich spürt er meine Angst. Er lächelt anerkennend über meine Ehrfurcht. Sofort beginne ich mich zu fragen … »Ja, er ist echt«, sagt er, meine Gedanken erratend.
Den Tiger in beiden Armen haltend wie eine Mutter ihr Kind, folge ich ihm in den hinteren Bereich des Geschäfts, und unter den Augen von Fatima und den beiden Khmer gehen wir durch die Hintertür hinaus, die, wie ich jetzt sehe, zu einem stahlummantelten Aufzug führt. Nur das Brummen des Mitsubishi-Motors stört die Stille. Warren und ich sind allein im Lift; wir sehen einander nicht an, wie das üblich ist auf so engem Raum, es sei denn, die Beteiligten sind Geliebte oder Verschwörer. Bei Warren und mir ist natürlich weder das eine noch das andere der Fall, weshalb ich mich über das frustrierte Gefühl der Sehnsucht wundere, das von ihm ausstrahlt. Wir scheinen in die Eingeweide der Erde hinabzugleiten. Die Fahrt dauert länger als erwartet; sein Lager muß sich unter den Tiefgaragen befinden.
»Da wären wir – im eigentlichen Ausstellungsraum, könnte man sagen. Professionelle Käufer kümmern sich kaum um das, was ich oben habe. Ich würde es nicht ins Schaufenster geben, wenn ich nicht wüßte, daß irgendein Narr es über kurz oder lang zu einem überzogenen Preis erwirbt. Hier unten jedoch wird der Kenner fündig. Die Schönheit ist ein hoher Berg, Detective, und die Mode läßt immer nur eine seiner Seiten in hellem Glanz erstrahlen. Früher oder später zieht eine andere die Aufmerksamkeit auf sich, und schon schlägt der Sammler zu. Sammler sind als Kunden schwierig, aber es macht auch am meisten Spaß, ihnen etwas zu verkaufen.« Er mustert mich mit seinen grauen Augen. »Das Schönste im Leben ist es, verstanden zu werden, stimmt’s? Aber wen könnten Künstler wie Sie und ich schon finden, der uns versteht?«
Fast widerspreche ich, doch dann fällt mein Blick auf die Gewölbe des Kellers. Er ist viel größer, als ich erwartet hätte, und es herrscht charmantes Chaos. Vermutlich nimmt er die Hälfte des Tiefgaragenraums ein; er wird von Längsgängen durchzogen.
»So viele Schätze kann der Geist nicht aufnehmen«, sage ich in Thai, der einzigen Sprache, in der sich solche Ehrfurcht ausdrücken läßt.
»Lassen Sie sich von mir helfen«, meint er mit einem Lächeln. Ich begreife nicht, warum er sich von der jämmerlichen Ehrfurcht eines Dritte-Welt-Detective vor seiner Sammlung geschmeichelt fühlt, aber wieso sollte er mir etwas vormachen? Ich zucke zusammen, als ich höre, wie sich die Lifttüren schließen und der Motor zu brummen beginnt. Er legt kurz die Hand auf meinen Unterarm, um mich zu beruhigen, doch die Geste hat die gegenteilige Wirkung auf mich. Hier unten sehe ich seinen seltsamen Geist viel klarer; ich spüre seine Qual.
»Sie verstehen mich doch, Detective, oder?«
»Ich glaube schon.«
»Und wie sieht Ihre Antwort auf meine Pein aus?«
»Viel Besitz fordert viele Opfer, wenn der Besitz den Besitzer nicht zerstören soll«, legt der Buddha mir in den Mund. Warren brummt etwas, und der Augenblick der Vertrautheit ist vorbei. Er beginnt eine Art Verkaufsgespräch, wendet sich fünf großen, prähistorischen Riesen gleichenden Buddhaköpfen aus Stein zu, die eindeutig aus Angkor Wat stammen und Preisschilder tragen.
»Special Agent Jones ist klug«, sagt Warren und zündet sich eine Zigarette an, »aber sie ist auch eine amerikanische Polizistin – sie besitzt nicht Ihre Tiefe. Kurz nach Ausbruch des Bürgerkriegs habe ich so viele Sachen aus Angkor wie möglich gekauft. Als Amerikaner fühlte ich mich verantwortlich. Das Pentagon überzog das Land mit Bomben und destabilisierte es, anschließend unterstützte die CIA die Roten Khmer, weil sie die Feinde der Vietcong waren und wir Amerikaner schlechte Verlierer sind. Also zerstören wir ein
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