Der Jadereiter
sechs Neunmal-dreizehn-Fotos von Bradley gewickelter Tausend-Baht-Schein. Auf die Rückseite einer seiner Visitenkarten hat Rosen geschrieben: »Datum bestätigt. Denke, Ihnen und mir wird das Handy nützen. Sie haben vergessen, Bilder zu verlangen. Unterstützung kommt morgen. Nehmen Sie das Handy immer mit. Tod.«
Der Junge sagt: »Schauen Sie nach, wie viele Einheiten drauf sind.« Ich weiß nicht, wie das geht, und gebe es ihm. Er drückt ein paar Knöpfe und zuckt mit den Achseln.
»Bloß achthundert Baht. Rufen Sie lieber nicht in San Francisco an.« Ich will ihm einen Tritt versetzen, erwische ihn aber nicht mehr, weil er schon wieder zu seiner Sonnenliege unterwegs ist.
10
In meinem Zimmer trifft mich die Verzweiflung wie ein Schlag ins Gesicht. Vor dem Bild Seiner Majestät des Königs breche ich in Tränen aus.
Warum beschloß Pichai, sich ordinieren zu lassen? Zu seinen Lebzeiten habe ich mich das nie gefragt; sein Fortschreiten auf dem Pfad erschien mir so natürlich wie das Wachsen eines Baumes. Doch selbst in Thailand ist es nicht alltäglich, einen Cop an Buddha zu verlieren. Jetzt, da ich auf sein Leben zurückblicke, erkenne ich seinen Weg.
Die Söhne von Prostituierten erfahren von ihren Müttern, was es heißt, ein Mann zu sein, insbesondere ein farang- Mann . Für meine Mutter waren die farangs eine Entdeckungsreise in eine exotische fremde Welt mit fader Küche, auf die man sich sehr konzentrieren mußte, um überhaupt etwas zu schmecken. Vor allen Dingen jedoch waren sie ein großes Experiment psycho-sexueller Manipulation, die sie zur Kunstform perfektionierte. Am Ende gelang es ihr, den Männern durch einen kaum wahrnehmbaren Wechsel des Tonfalls jenen kleinen Aufpreis zu entlocken, den weniger Geschickte nur durch eine Szene erhielten.
Ganz anders als Wanna. Pichais Mutter war tiefer in der Thai-Kultur verwurzelt als Nong und begann in den Bars zu arbeiten, nachdem sie Pichais Thai-Vater, einem »Schmetterling« (ein Ausdruck, den unsere Frauen für Männer verwenden, die alles bumsen, was ihnen unter die Finger kommt), den Laufpaß gegeben hatte. Als sie das erste Mal mit einem farang schlief, mußte sie kotzen. Die riesige Erektion des Mannes war ihrer Meinung nach eher für einen weiblichen Wasserbüffel als für eine Frau geeignet. Es gelang ihr nie, ihr Potential voll auszuschöpfen. Nong pflegte sie zu necken, daß sie der Schule der »leblosen« Verführung angehöre. Aber letztlich war das egal. Mit ihrer zierlichen Figur und der hellen Haut, der reinen Freude für den Kenner, war und ist Wanna eine Augenweide, und farangs stehen nun mal auf gutes Aussehen.
Pichai teilte die Kunden seiner Mutter in Herren und Sklaven ein. Die Tatsache, daß sie ihre Unnahbarkeit und Gleichgültigkeit nie aufgab, ließ ihn an der geistigen Gesundheit der farangs zweifeln. Einen Weißen Herren, der sie (mit dem Versprechen, daß ihr Leben fortan sicher sei) beschützen und beherrschen wollte, belohnte sie mit genau demselben Repertoire an Stöhnen und Ächzen wie einen Weißen Sklaven, der ihr erklärte, er könne nur gerettet werden, wenn sie ihm – durchaus im wörtlichen Sinn – erlaubte, ihr den Arsch zu lecken.
Als ihr Englisch besser wurde, erzählte sie Pichai vom Liebesgeflüster ihrer Kunden. Das Nirwana in der Möse einer Frau zu suchen, ist dämlich. Am schlimmsten fand Pichai es, daß diese spirituellen Zwerge dabei waren, die Herrschaft über die Welt an sich zu reißen. Vermutlich führte ihn die tiefe Desillusionierung, die aus diesen Einsichten erwuchs, auf den Pfad. Er besaß die Bereitschaft, auch auf die bittersten Erkenntnisse zu reagieren; anders als ich hatte er nie Angst davor, an seinen Ketten zu rütteln, sobald er ihr Wesen erkannte. Vielleicht liebte er mich nicht so innig wie ich ihn?
11
Fragen Sie mich nicht, wann mir das Offensichtliche aufging. Ich sitze in der Sukhumvit Road in einem Internet-Café und gebe »Bradley/Jade« in die Suchmaschine von AltaVista ein. Die Homepage trägt den Namen »Fatimas und Bills Jadefenster« und besteht aus einem schwarzen Hintergrund mit weißem Text sowie einem sich langsam drehenden Jade-Artefakt in einem Oval in der Mitte des Bildschirms. Ein gewisser William Bradley weist sich als Einrichter dieser Homepage aus.
Bei dem Artefakt handelt es sich um einen parabolischen, sanft grüngolden schimmernden Phallus – eine harmonische Form, die sich verjüngend aus grobem Stein erhebt und in einer glattpolierten Spitze endet.
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