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Der Jadereiter

Der Jadereiter

Titel: Der Jadereiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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Mamasan, verfeindete Familien mit Klagen und Drohungen. Nicht selten erzählt ein Bruder oder Vater der Polizei von seinem Schwur, das Schwein zu töten, das sich an seiner Frau oder Schwester vergangen hat – nicht zuletzt deshalb, weil er erwartet, daß die Beamten wegschauen, wenn er eine bestimmte Summe zahlt. Manchmal kommen junge Leute, um mit unserer Hilfe etwas über ihre Identität herauszufinden, denn wir sind eine großenteils polygame Gesellschaft, in der Babys oft engen Verwandten oder Freunden gegeben werden, und so ist nicht immer klar, wer zu wem gehört. Betrunkene und Bettler finden sich ein, weil sie hier auf Stühlen sitzen können, und ein Mönch in safranfarbener Robe wartet auf Hilfe und Rat.
    Der örtliche Leprakranke bettelt mit einer Messingschale zwischen den Armstumpen und verzieht für zehn Baht jämmerlich das Gesicht. Für mehr Geld stößt er ein herzzerreißendes Wehklagen aus und schlägt mit dem Kopf auf den Boden, bis einer der Cops droht, ihn zu erschießen. Dann wäre da noch der Tätowierer an der Straßenecke, der seinem Gewerbe mittels zweier sehr langer Nadeln und einer begrenzten Farbpalette nachgeht (alles ist möglich, nur schwarz muß es sein). Wenn es regnet, erlaubt ihm der diensthabende Beamte manchmal, seine Opfer hier im Empfangsbereich zu quälen. Er hat eine bedeutende Position inne, dieser Tätowierer, der halb Körperkünstler, halb Schamane ist. Besonders Boxer und Bauarbeiter auf Wolkenkratzern brauchen den Schutz, den ihnen ihr ausführliches Geburtshoroskop auf Rücken und Solarplexus bietet.
    Meine rangniedrigeren Kollegen haben so etwas wie strenge Güte entwickelt, eine Bereitschaft zu helfen, die ein wenig abgeschwächt wird durch die langjährige Auseinandersetzung mit den Tricks der Armen, denn District 8 ist das Wesen von Krung Thep, sein Herz und seine Achselhöhle. Ich kann es kaum glauben, daß mein Bruder Pichai nicht mehr zusammen mit mir hier sein wird, hier, wo wir beide erwachsen wurden, wo Pichai seine edle Verachtung kultivierte und wo ich mich in die schmutzige Schönheit des menschlichen Lebens verliebte. Hier habe ich außerdem gelernt, meiner Mutter zu vergeben und sie zu ehren, denn vor dem Hintergrund von District 8 empfinde ich Nongs Leben als Erfolgsstory und leuchtendes Beispiel. Wenn doch nur alle Frauen so sein könnten wie sie.
    Meine Kollegen wenden den Blick ab, als ich das Revier betrete. Jeder Mann ist mindestens drei Monate seines Lebens Mönch, was bedeutet, daß er sich ernsthaft mit der Unausweichlichkeit seines eigenen Todes, dem Verfall des Körpers, den Würmern, der Verwesung, der Bedeutungslosigkeit von allem außer dem Pfad des Buddha auseinandergesetzt hat. Wir sehen den Tod nicht wie du, farang. Die Kollegen, die mir am nächsten stehen, ergreifen meinen Arm; einer oder zwei umarmen mich. Niemand spricht mir sein Beileid aus. Würde irgend jemandem ein Sonnenuntergang leid tun? Keiner zweifelt daran, daß ich geschworen habe, Pichais Tod zu rächen. Der Buddhismus stößt an seine Grenzen, wenn es um die Ehre geht.
    »Detective Jitpleecheep, der Colonel möchte mit Ihnen sprechen.« Die kleingewachsene Frau mit der kurzärmeligen blauen Bluse, dem schwarzen Gürtel und dem blauen Rock ist eine rangniedrige Beamtin, die als Sekretärin und Adjutantin des Colonel fungiert. Sie ist außerdem sein Auge und sein Ohr im Revier, so etwas wie seine Antenne, denn in unserem Königreich gibt es keine Stellen, die nichts mit Politik zu tun haben. Ich nicke, gehe ein paar Stufen hinauf und trete durch eine Holztür auf einen Flur, an dessen Ende ich an eine weitere Holztür klopfe, die auch nicht eindrucksvoller ist als die erste. Die Architektur des Gebäudes läßt allerdings vermuten, daß dieses Büro größer ist als die übrigen und einen besseren Ausblick hat.
    Am anderen Ende des Raumes wartet ein Mann Anfang Sechzig auf mich. Er trägt die Uniform eines Polizei-Colonel, der gleichzeitig District-Leiter ist. Seine spitze Mütze hängt an einem Nagel an der Wand zu seiner Linken, ein goldgerahmtes Bild des Königs zu seiner Rechten. Sein Holzschreibtisch ist bis auf einen altmodischen Tintenlöscher, einen Plastikbehälter für Kugelschreiber sowie ein Foto von ihm selbst neben ein paar älteren Mönchen – einer davon der berühmte Vorsteher eines örtlichen Klosters – leer. Anlaß des Treffens auf dem Bild war die Polizeiexekution von fünfzehn yaa-baa- Händlernohne vorhergehende Verhandlung, die die

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