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Der Jadereiter

Der Jadereiter

Titel: Der Jadereiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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anschließende Segnung des Klostervorstehers erforderlich machte, um die von verantwortungslosen Journalisten aufgehetzte Bevölkerung zu versöhnen (die Zeitungsleute hatten ziemlich offen angedeutet, daß die toten Schmuggler einem berüchtigten Armee-Syndikat angehörten, das mit Vikorns berüchtigtem Polizei-Syndikat rivalisierte). Mit Unterstützung des Klostervorstehers erkannten unsere Bürger jedoch schnell, daß solche Verleumdungen, selbst wenn sie gerechtfertigt waren, nichts an der Rechtmäßigkeit des Vorgehens von Colonel Vikorn änderten, das der Gemeinschaft ein kleines Vermögen an Gerichts- und Gefängniskosten sparte. Wenig später finanzierte der Colonel einen neuen, mit Strom und fließendem Wasser ausgestatteten Flügel für das Kloster, in dem Jungmönche in Ruhe und Frieden meditieren können.
    Dem Colonel sind die militärisch stramme Haltung, der kantige Kiefer und der aufrichtige Blick des Meistergauners eigen. Niemand weiß, wie reich er ist; vermutlich hat er selbst keine Ahnung. Abgesehen von der Millionen-Dollar-Yacht, die er von einem holländischen Schmuggler konfiszierte und anschließend bei einer Auktion, bei der er der einzige Bieter war (außer ihm wurde niemand eingeladen), für zehntausend Baht erwarb, besitzt er im Nordosten am Ufer des Mekong große Grundstücke, hundert Bungalows auf Ko Samui, die er an Touristen vermietet, und ein Landhaus in der Nähe von Chiang Mai im Nordwesten. In Krung Thep wohnt er zusammen mit Frau Nummer eins und dem jüngsten ihrer fünf Kinder in einem bescheidenen Haus, wie es einem einfachen Polizisten geziemt. Warum nur empfinde ich tiefe Zuneigung für diesen Mann?
    Aus Gründen, die ich nicht verstehe, hat der Colonel hinter seinem Schreibtisch eine Karte Thailands von der Abteilung für Verbrechensbekämpfung aufgehängt, auf der zu sehen ist, in welchen Gebieten die meisten Polizeibeamten gemeinsame Sache mit dem organisierten Verbrechen machen. Pfeile in unterschiedlichen Farben weisen in fast alle Richtungen. Entlang der Grenzen zu Laos und Kambodscha unterstützt die Polizei den Schmuggel von Drogen und gefährdeten Tierarten nach China; entlang der birmesischen Grenze tragen wir dazu bei, daß wöchentlich genug Methamphetamine ins Land kommen, um die gesamte Bevölkerung einen ganzen Monat lang wach zu halten. An der Küste arbeitet die Polizei Hand in Hand mit den Zollbehörden, um den heimlichen Ölhandel zu fördern, auf den der größte Teil der hiesigen Fischereiflotte seine Boote umgestellt hat: In den meisten Nächten segeln sie zu Tankern hinaus, von denen sie Schmuggelöl in ihre speziell für diesen Zweck konstruierten Edelstahltanks laden; mehr als zwölf Prozent von Thailands Dieselkraftstoff ist Schmuggelware. An den Rändern von Krung Thep und an Hunderten von Orten in ländlichen Gegenden verlangt die Polizei Schutzgelder von Betreibern illegaler Spielhöllen, vor allem gegen andere Angehörige der Polizei sowie die Armee, die auch ein Stück vom Kuchen will. Nicht zuletzt aus dem kommerziellen Geschick der Beamten entstehen so manche der besten Garküchen der Stadt, die von jungen Constables geleitet werden, weil sie keine Anzeige wegen illegalen Straßenverkaufs zu befürchten haben. Die Karte ist ein Irrgarten aus roten, grünen, gelben und orangefarbenen Pfeilen, die die unterschiedlichen Verfehlungen anzeigen. Ich bin nicht der erste, dem auffällt, daß der Colonel die einzige Person im Raum ist, die die Karte von ihrem Platz aus nicht sehen kann.
    Ich habe diese Karte schon oft studiert. Allmählich bekomme ich den Eindruck, daß einundsechzig Millionen Menschen auf die eine oder andere Weise an einem verbrecherischen Unternehmen beteiligt sind, das von der Polizei geduldet oder sogar unterstützt wird. Kein Wunder, daß die Angehörigen meines Volkes immerzu lächeln.
    Mein Colonel, eine Führernatur, wie sie im Buche steht, erhebt sich, als ich näher komme. Ich lege die Handflächen zu einem höflichen Gruß vor der Stirn zusammen. Der Colonel tritt hinter seinem Schreibtisch hervor, um mich zu umarmen – eine feste, männliche, warmherzige Umarmung, die mir die Tränen in die Augen schießen läßt.
    »Wirst du mich umbringen, Sonchai?« Er deutet auf den Stuhl neben seinem Schreibtisch.
    Ich setze mich, als er sich setzt. »Sollte ich das?«
    Der Colonel zuckt mit den Achseln. »Das hängt wohl davon ab, ob ich euch wissentlich ins Messer habe laufen lassen oder nicht. Wenn ja, mußt du mich erschießen. Das

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