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Der Jadereiter

Der Jadereiter

Titel: Der Jadereiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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fragte sie: »Was ist los, bist du erkältet?«
     
    Der Satz ist mir in den Sinn gekommen, weil sie ihn jetzt wiederholt, als sie sich lächelnd über mich beugt. Ich greife nach ihrer Hand wie ein leidenschaftlicher Liebhaber, bin aber fast zu schwach zum Reden.
    Seit sie sich aus dem Berufsleben zurückgezogen hat, ist sie ein bißchen runder geworden. Sie hat vollere Brüste und breitere Schultern, ist jetzt fünfzig und besitzt noch immer jene Fähigkeit, ganz natürlich sexy zu wirken.
    Die möchte sie auch nicht verlieren. Sie trägt ein knallrotes Kleid, unter dem ihre braunen Schultern und ein Teil ihrer Brüste zu sehen sind, dazu schwarz-rote Lacklederschuhe mit ziemlich hohen Absätzen, eine schwere Goldkette mit einem Buddha um den Hals, eine schwarz-rote Handtasche – ein Gucci-Imitat –, eine schwere Armkette aus Gold, goldene, tropfenförmige Ohrringe, rotglänzenden Lippenstift, Mascara und das Parfüm, an das ich mich noch von Paris erinnere, hauptsächlich deshalb, weil sich Nongs persönliches Budget nach der Reise verdoppelte.
    Es ist keine einzige graue Strähne in ihren Haaren, die sie asymmetrisch auf der einen Seite des Kopfes zu einem Zopf geflochten hat, was sie aussehen läßt wie … eine Edelnutte. Sie sitzt auf einem Stuhl neben meinem Bett und zündet sich eine Marlboro Red an. »Möchtest du mal ziehen?« Ich schüttle den Kopf. »Ist es schlimm, mein Schatz? Ich bin sofort gekommen, als mir der Colonel gesagt hat, was passiert ist. Was wolltest du überhaupt mutterseelenallein mitten in der Nacht in diesem Haus?« Sie legt ihre Hand auf die meine. »Du wirst dich wieder erholen, sagt der Arzt – er ist wirklich reizend, findest du nicht? Das wird die längste Narbe in ganz Krung Thep, aber es ist nur eine oberflächliche Wunde.« Sie betrachtet mich mit liebevollem Blick, als wäre ich ein kleiner Junge und von einer Leiter gefallen. »Brauchst du etwas? Soll ich dir irgendwas besorgen?«
    Ich sehe sie an. »Mutter, durch die Schmerzmittel habe ich die ganze Zeit geträumt und halluziniert. Ich möchte, daß du mir sagst, wer mein Vater ist.«
    Ich habe diese Frage genau zehnmal gestellt, dieses Mal eingeschlossen. An die ersten neun Situationen erinnere ich mich genauso lebhaft, wie ich mich an diese erinnern werde. Die Frage erfordert Mut und die emotionale Intensität eines besonderen Anlasses – der fast tödliche Angriff eines Motorradfahrers dürfte genügen.
    Sie tätschelt meine Hand. »Sobald du aus dem Krankenhaus raus bist, verbringen wir beide ein paar Tage in meinem Haus in Phetchabun, ja? Ich besorge Bier, lade Leute ein, wir spielen hi-lo, ich kann dir auch ganja organisieren, wenn du möchtest. Ich weiß, was für ein Schlag Pichais Tod für dich gewesen sein muß.«
    »Mutter …«
    Wieder tätschelt sie meine Hand. »Ich versuche, den Mut zu finden, wirklich, mein Schatz.«
    Seufzend gestatte ich ihr ein nachsichtiges Lächeln. Immerhin ist sie ins Krankenhaus gekommen und will die Woche in Bangkok bleiben, um in meiner Nähe zu sein. Sie raucht eine weitere Zigarette, berichtet mir von Pichais Beisetzung, die genau so abgelaufen ist, wie ich es erwartet habe – man mußte die Polizei holen, um den Streit zwischen zwei yaa-baa- Händlernzu beenden –, und läßt mich schließlich schlafen. Ein paar Minuten später wache ich wieder auf, als das FBI versucht, ein Fenster zu öffnen, damit der Zigarettenrauch aus dem Zimmer verschwindet.
    »Bitte lassen Sie es zu«, sage ich zu der Frau. »Ich mag den Geruch von Marlboro.«
    »Sprechen Sie und Ihre Mutter immer Deutsch miteinander?«
    »Hin und wieder, wenn uns danach ist.«
    »Können alle Thais Deutsch?«
    »Meine Mutter und ich haben ein bißchen von einem meiner Lehrer gelernt«, antworte ich mit einem Lächeln.
    Ich möchte, daß du mir sagst, wer mein Vater ist. Ich denke immer noch fast täglich über ihn nach, auch wenn meine Besessenheit von ihm inzwischen ins Unterbewußte gerutscht ist. Ich starre nach wie vor weiße Amerikaner mittleren Alters an, die zu passen scheinen, aber ich leide nicht mehr unter dem ungesunden Fanatismus meiner Teenagerzeit. Mit dreizehn beanspruchte ich eine Ecke unserer Unterkunft für mich und zwang meine Mutter Monat für Monat, meiner Sehnsucht ins Gesicht zu blicken, indem ich die Wände mit alten Zeitungsausschnitten über den Vietnamkrieg zupflasterte. Eine Woche war ich mir sicher, daß er mit übermenschlichem Mut in den Tunnels von Cu Chi gekämpft hatte. Mehr als

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