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Der Jadereiter

Der Jadereiter

Titel: Der Jadereiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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Reds und mache mich auf dem Rücksitz an die Arbeit. Fritz hat Geld – nach Thai-Maßstäben ist er sogar ziemlich wohlhabend –, doch das in Gefängnismacht zu verwandeln, gestaltet sich ziemlich schwierig. Jeder Insasse kann, wenn er möchte, ein Gefängniskonto eröffnen, aber die Höhe des Betrags, den er täglich davon abheben darf, ist streng begrenzt. Anfangs brachte ich Fritz Tausend-Baht-Scheine, die so klein gefaltet waren, daß ich sie bei meinen Besuchen unauffällig zwischen den Gitterstäben in seinen Bereich hinüberschnippen konnte. Doch im Gefängnis braucht man kleine Scheine. Tausend Baht nützen nichts und erhöhen das Risiko, bestohlen und möglicherweise ermordet zu werden. Inzwischen höhle ich immer zehn Marlboros aus, schiebe eng gerollte Hundert-Baht-Scheine in die Hülle, verschließe das Ende mit Tabak und improvisiere dann. Bis jetzt ist mir der Trick jedesmal gelungen. Mein Polizeiausweis sorgt dafür, daß ich nicht besonders gründlich durchsucht werde. Andere Besucher, besonders farangs, müssen sich einer Leibesvisitation unterziehen.
    Ich erlebe immer einen Augenblick der Spannung, während ich im Besuchsraum darauf warte, daß der diensthabende Wachmann ihn holt. Ist er noch am Leben, oder haben ihm die letzten Prügel den Rest gegeben? Liegt er krank im Hospital, vielleicht wegen einer HIV-Infektion, die er sich von einer schmutzigen Nadel geholt hat, oder wegen einer der anderen fast immer tödlichen Krankheiten, die die Insassen befallen? Hat der König dieses Jahr beschlossen, ihn zu begnadigen? Doch da kommt er schon. Er zieht die schwere Kette an seinen Fußeisen mit einer Schnur in der linken Hand hoch, als führte er einen Hund spazieren. Offiziell gibt es keine Fußeisen mehr in Bang Kwan, aber das scheinen die Wachleute in dem Block von Fritz nicht zu wissen. Er setzt sich auf einen Stuhl auf der anderen Seite des Gitters und läßt die Kette mit einem dumpfen Knall auf den Boden fallen.
    Erstaunlicherweise hat er von Pichais Tod gehört und spricht mir sein Beileid aus. Der dramatische Alterungsprozeß seiner ersten Gefängnisjahre ist schon vor einiger Zeit zum Stillstand gekommen, als hätte er von Anfang an einen bestimmten Zustand der Reptilienschläue zum Ziel gehabt. Jetzt ist er eine faltige Schildkröte, irgendwo zwischen fünfzig und zweihundert Jahre alt. Er bedankt sich für die 555er, die der Wachmann bereits in Augenschein genommen und ihm gereicht hat, dann betrachtet er mein Gesicht. Ich weiß, daß er kein normaler Mann ist, nie wieder sein wird, auch wenn er gern einer jener zahllosen unauffälligen Durchschnittsmenschen wäre, die er einst verachtete. Ich spüre, wie er mich mit der ihm eigenen übersteigerten Aufmerksamkeit mustert, und merke, daß er meine Gedanken kennt, nicht weil er im Besitz übernatürlicher Kräfte wäre, sondern weil er die Fähigkeit, in den Gesichtern anderer Menschen zu lesen, zur Perfektion gebracht hat.
    »Ich hab gewußt, daß du heute kommst. Durch einen Spalt in der Decke habe ich einen weißen Vogel gesehen, und mir war klar, das bist du. Ich denke schon wie ein Thai, meinst du nicht auch?«
    »Wie geht’s dir?«
    Er zieht an der Schnur, um ein wenig mit der Kette zu rasseln. »Prima. Man hat mich befördert, wie findest du das?«
    »Bist du jetzt einer von den Blauen, ein Vertrauensmann?«
    Er schnaubt verächtlich. »Sehe ich wie ein Spitzel aus? Nein, sie haben endlich gemerkt, daß sie Bedarf an deutscher Effizienz und Akribie haben – ich leite unseren kleinen Rotlichtbezirk.«
    »Schmuggeln sie etwa Mädchen rein?«
    Ein Schauer überläuft ihn. Er spricht unglaublich schnell, in einem lauten Flüsterton, wie ein exzentrisches Genie – oder ein Verrückter. »Es gibt immer noch Dinge, die du nicht weißt über dein Land. Natürlich lassen sie keine Mädchen rein – die würden sofort zu Tode gebumst. Nein, ich spreche von der Schweinefarm. Dein Volk ist ausgesprochen homophob, war dir das klar? Eine Sau erzielt fünfundzwanzigmal so viel wie ein Eber für die kurze Nummer, eine halbe Stunde. Ich führe Buch, und natürlich verwalte ich gewissenhaft sowohl Zeit als auch Geld. Ich habe sogar einen kleinen elektrischen Summer entwickelt, damit der Typ weiß, wann die letzten fünf Minuten beginnen.« Er hebt die Hände. »Was soll ich sagen? Das ist eine Ehre. Letztes Jahr haben sie mir das Kakerlakenprojekt übertragen, und es ist mir nicht nur gelungen, die Produktion zu steigern, sondern auch die

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