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Der Jadereiter

Der Jadereiter

Titel: Der Jadereiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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Erfahrung hoch, während er für uns nicht viel mehr ist als das Kratzen an einer juckenden Stelle. Ich fürchte, wir sind nicht so romantisch, wie wir wirken. Vielleicht sind wir sogar ein bißchen merkwürdig. In anderen Ländern wie Japan und Südkorea ging die Prostitution mit dem wirtschaftlichen Boom drastisch zurück. Doch wenn unsere Wirtschaft floriert, reduziert sich die Zahl der Prostituierten nicht, sondern steigt eher noch.«
    Ich schalte die Sendung mit Pisit und seinem Gast aus, als das Taxi eintrifft, merke aber, daß die Geschichte der Reisbauerin aus Isan mich weiter verfolgt. Ich kann sie förmlich vor mir sehen, wie unwohl sie sich fühlt ohne ihren Sarong, dafür in dem kurzen Röckchen, den Leggings und dem schwarzen Top, fast schon die Uniform des Gewerbes. Ihre Beine sind kurz und muskulös, ihr Hintern ist eher ein bißchen zu breit, und ihre Erwartungen haben wenig mit der Realität zu tun, wenn sie die vorbeikommenden weißen Männer betrachtet und sich fragt, wer von ihnen ihr Retter sein könnte. Sie hat das breite, offene Gesicht und die platte Nase der nördlichen Stämme. Ich erlebe mit ihr das Erstaunen darüber, wie ihr erster Freier versucht, sie in die dunkle Kunst der Fellatio einzuweisen, ihre Unfähigkeit zu verstehen, daß er es ernst meint, daß Menschen tatsächlich solche Dinge tun. In Gedanken folge ich ihr bis zur Haltestelle, spüre ihren Ekel über die Stadt, während sie auf den Bus nach Hause wartet. Ich merke, daß ich sie liebe, obwohl ich ihr nie begegnet bin. Wenn wir gerettet werden, dann durch Menschen wie sie.
    Auf dem Weg zu meiner Wohnanlage denke ich über meinen Penis nach. Nicht nur über den meinen, sondern über den eines jeden Mannes. Früher oder später steht man vor einer Entscheidung: Entweder man macht ihn zum Dreh- und Angelpunkt des Lebens, oder man benutzt ihn nur zu besonderen Gelegenheiten. Derjenige, der den ersten Pfad wählt, sieht den einzigen Zweck der Liebespartner irgendwann darin, daß sie seinem Glied in all seiner Pracht dienen. Er schiebt es überall hinein, teilt es mit jedem, solange es im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht. Erst nach einer Weile stelle ich fest, daß ich gar nicht über meinen eigenen Penis nachdenke, sondern über den von Bradley, über den perfekten Phallus auf seiner Homepage. Und was ist mit seinem merkwürdigen Genossen Sylvester Warren, der es so rauh liebt, daß sich nur Frauen aus Sibirien mit ihm einlassen?

28
    Ich war einundzwanzig und bereits Cop, als ich Fritz zum zweitenmal besuchte. Ich erzählte Nong nichts von dieser – wie sich später herausstellen sollte – auch weiterhin andauernden Mission der Barmherzigkeit. Er war mittlerweile seit mehr als elf Jahren im Gefängnis, und seine Verwandlung vom weltmännischen jungen Europäer in einen verhutzelten Überlebenden der Kloake hatte sich vollendet. Abgesehen von ein paar Haarbüscheln war er ganz und gar kahl, und über seine weiße, glänzende Glatze zogen sich Falten. Seine Hypersensibilität in puncto Körpersprache vermittelte seinem Gegenüber den Eindruck von extremer, an Wahnsinn grenzender Schläue. Wenn ich mich am Ohr kratzte, mir die Nase rieb, hustete oder zur Decke schaute, bewirkte das aufs nackte Überleben gerichtete Reaktionen seinerseits. Ich war einer plötzlichen Eingebung folgend zu ihm gekommen; vermutlich hatte das mit meiner immer noch nicht abgeschlossenen jämmerlichen Suche nach meinem Vater zu tun. Er betrat seine Seite des Besuchsraums mit Ketten gefesselt in der Hoffnung auf jemanden, der ihn irgendwie aus dem Gefängnis herausbringen könnte. Niemals waren zwei Männer enttäuschter voneinander gewesen als wir; nach fünf Minuten kugelten wir uns vor Lachen. Seine Familie hatte ihn enterbt, seine besten Freunde in Deutschland waren nach seiner Festnahme wegen Heroinhandels unter Anklage gestellt worden. Ihre Strafen hatten sie schneller hinter sich gebracht als er – er saß lebenslänglich –, aber keiner von ihnen wollte ihn besuchen. Mich hielt er mit Sicherheit für den einzigen Menschen auf der Welt, der in der Lage war, ihn vor dem Wahnsinn zu bewahren.
    Elf Jahre später besuche ich ihn zum einundsechzigsten Mal. Bevor wir den Wachturm erreichen, lasse ich den Taxifahrer anhalten, um sechs Packungen mit jeweils zweihundert Zigaretten zu kaufen. Fritz selbst raucht die örtlichen Marken, aber 555er sind innerhalb des Gefängniskreislaufs die wertvollere Währung. Dazu erwerbe ich ein Päckchen Marlboro

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