Der Jadereiter
eine Metamorphose. Plötzlich trug er Schmuck, den er zu einer Parade nie hätte anlegen können: Ohr- und Fingerringe, eine Goldhalskette mit Buddha, dazu ein leuchtend purpurfarbenes Hawaii-Hemd aus Seide, das nur auf schwarzer Haut gut aussieht. Näher als an diesem Tag bin ich nie an den Sergeant herangekommen. Jeder von uns macht eine Verwandlung durch, wenn er die Uniform ablegt, aber so etwas wie bei ihm hatte ich noch nie erlebt. Plötzlich sah er nicht mehr aus wie ein Soldat; er ging auch nicht mehr so, als er dieses Hemd anhatte.«
»Danke, Captain«, sagt Rosen, und Nape fragt: »Ach, noch was, Captain. Sie haben erwähnt, daß Bradley auf eigenen Wunsch hierherversetzt wurde?«
»Ja. Das steht in seiner Akte, die ich mir nach dem, was passiert ist, noch einmal vorgenommen habe.«
Sobald der Captain den Raum verlassen hat, richten sich alle Blicke erwartungsvoll auf mich. Ich sage: »Danke, daß Sie mich an dem Treffen haben teilnehmen lassen. Es war ausgesprochen nützlich.«
»Wohl eher nutzlos«, sagt Kimberley Jones. »Haben wir von dem Captain irgend etwas erfahren, das wir noch nicht wußten?«
»Ja, daß Bradley krankhaft verschlossen war«, antwortet Nape. »Und daß er ein Doppelleben führte.«
»So ungewöhnlich ist das nicht bei Soldaten, die lange im Dienst sind«, meint Rosen. »Da hält man sich an dem bißchen Privatbereich fest, den das Militär zuläßt.«
»Außerdem war er ein Kontrollfreak«, fügt Nape hinzu.
»Alle erfolgreichen Männer sind Kontrollfreaks«, sagt Kimberley Jones.
»Sollten Sie nicht lieber ›alle erfolgreichen Menschen‹ sagen?« fragt Nape mit provozierendem Blick.
Kimberley Jones zuckt zusammen. »Tja, wahrscheinlich haben Sie recht.«
Rosen verzieht das Gesicht und sieht mich an. »Nun, Detective, haben Sie mit Ihrem Colonel gesprochen?«
»Ich habe schriftlich um Erlaubnis gebeten, Sylvester Warren bei seinem nächsten Thailandbesuch, der heute beginnt, zu befragen.«
»Und?«
»Ich denke, ich werde erst nach seiner Abreise eine Antwort bekommen.«
Rosen breitet die Hände aus. »Wie gesagt, der Mann hat gute Verbindungen.«
Die Wunde von dem Kampf verheilt gut, aber ich habe nichts dagegen, daß Kimberley Jones mich untergehakt zum Eingang der Botschaft begleitet, vermutlich, um mich zu stützen. Der Marine in dem Wachhäuschen ist inzwischen zu einem alten Freund geworden und winkt mich durch das Drehkreuz.
31
Die Tageszeitung Matichon berichtet über eine ungewöhnlich hohe Anzahl von Geistern an der berüchtigten Kreuzung Rama VI/Traimit Road. Fachleute sind der Ansicht, daß es sich dabei um die Geister von Menschen handelt, die bei Verkehrsunfällen ums Leben kamen und jetzt darauf aus sind, weitere zu verursachen, um Gesellschaft zu haben. Mein Volk scheint im Leben wie im Tod auf Partys scharf zu sein.
Widerwillig nehme ich den Kopfhörer ab. Jetzt ist der Augenblick gekommen, Pichais Zimmer aufzusuchen.
Es befindet sich in derselben Wohnanlage wie meines, ein identischer Raum in einem identischen Gebäude knapp einen Kilometer von meinem entfernt.
Jedenfalls ist die Grundstruktur des Zimmers dieselbe. Pichai nannte einen Fernseher sein eigen, der die ganze Zeit lief, wenn er zu Hause war, sowie eine bescheidene Stereoanlage, auf der er Thai-Rock (besonders Carabao) und Predigten bedeutender buddhistischer Mönche abspielte.
Ein oberflächlicher Beobachter hätte wohl mich für denjenigen gehalten, der sich für die Ordinierung entscheiden würde, aber er hätte die Entschlossenheit, die für den Achtfachen Pfad nötig ist, außer acht gelassen. Ja, natürlich brachte Pichai den yaa-baa- Händlerum, und nicht ich, aber das beweist nur, daß er in der Lage war, Entscheidungen zu fällen. Ich hingegen bin ein Zauderer. War der Buddha tatsächlich ein transzendentes Genie, das vor langer Zeit darauf hinwies, daß das Nichts noch unausweichlicher ist als Tod und Steuern? Oder war er ein Aussteiger, der ein paar Jahrhunderte vor Christus nicht mit der Disziplin der Staatskunst zurechtkam? Sein Vater, der König, war jedenfalls dieser Ansicht und weigerte sich auch nach seiner Erwachung, mit ihm zu sprechen. Ist es mein farang- Blut , das mir von Zeit zu Zeit solche ketzerischen Gedanken einflüstert? Und warum gerade in Pichais Zimmer? Eigentlich bin ich hier, um sein Seidenhemd mit den kurzen Ärmeln und seine Fila-Schuhe zu holen, die er nun nicht mehr braucht, aber ich muß feststellen, daß sie genauso verschwunden sind wie der
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