Der Jadereiter
haben noch nie eine solche Bruchbude gesehen?«
Am liebsten würde ich ihr das Gesicht in die harte Realität drücken, aber immerhin ist wunderbarerweise meine Niedergeschlagenheit verschwunden.
»Nein, ich habe tatsächlich noch nie eine solche Bruchbude gesehen. Tut mir leid.«
»Willkommen in der Dritten Welt.«
Sex ist schon etwas Merkwürdiges, finden Sie nicht auch? Eine Macht, die die Stimmung verändern kann wie eine Droge. Kimberley Jones mustert mich erwartungsvoll; mit Sicherheit denkt sie ans Bett, genau wie ich. Wir hüsteln beide gleichzeitig. Sie lächelt mich mit ihren glänzenden Lippen an.
»Ich hab mir gedacht, Sie könnten eine Aufmunterung vertragen, und zwei Karten fürs Kickboxen im Lumpini-Stadion heute abend gekauft. Es ist Samstag, man hat mir gesagt, es findet ein großer Kampf statt. Begleiten Sie mich? Ich sehe das als Teil meiner Orientierungsmaßnahmen. Aber wenn Sie nicht wollen, wenn es Ihnen lieber ist hierzubleiben und Trübsal zu blasen …«
Der Wagen, der unten auf sie wartet, entpuppt sich als weißer Mercedes. Auf dem Rücksitz sagt Kimberley Jones: »Ich habe es gestern abend mit dem Thai-Fernsehen versucht und, glaube ich, eine Seifenoper erwischt, aber eine Soap, wie sie mir noch nie untergekommen ist. Es sind ständig Leute gestorben und wiedergeboren worden. Sie haben ihre Gespräche nach der Wiedergeburt fortgesetzt. Dann waren da noch Geister und Zauberer, die der Schwerkraft trotzten und in einem Märchenland ungefähr acht Kilometer über der Erde lebten. Würden Sie sagen, das ist ein gutes Beispiel für das Denken der Thais?«
»Acht Kilometer über der Erde könnte hinkommen. Aber Sie haben das Skelett vergessen.«
»Stimmt, da war tatsächlich ein cleveres menschliches Skelett, das dem Liebespaar überallhin gefolgt ist. Was wollte es denn?«
»Sie dürfen nicht vergessen, daß wir ganzheitlich denken. Wir können nicht einfach ein kleines Stück vom Leben herausschneiden, zum Beispiel zwei Liebende, die in den Sonnenuntergang schlendern, und so tun, als wäre das das letzte Wort.«
Auf dem Weg zum Lumpini-Stadion fühle ich mich bemüßigt, ihr einen Vortrag über die thailändische Kultur zu halten: »Sie sollten nicht ›Kickboxen‹ sagen. Kickboxen ist ein künstlicher Sport, der erst nach den Bruce-Lee-Filmen erfunden wurde. Muay Thai ist etwas ganz anderes.«
»Ach, tatsächlich? Und die Regeln?«
»Nun, da gibt’s keine.«
Kimberley Jones stöhnt. »Warum wundert mich das nicht?«
»Jedenfalls gab’s keine, bis wir welche erfinden mußten, damit die internationalen Fernsehanstalten keinen Aufstand machten. Jetzt tragen die Boxer diese lächerlichen Handschuhe. Früher haben sie Gazestreifen in einen Topf mit Klebstoff getaucht, um die Fäuste gewickelt und Glassplitter darauf gestreut.«
»Hübsch.«
»Es geht da um die Landesverteidigung. Bis vor kurzem haben wir unsere Kriege mit Birma – wir sind eigentlich immer im Krieg mit Birma – Mann gegen Mann geführt. Primitiv, nicht? Andererseits müssen dabei keine Zivilisten dran glauben, niemand erschießt versehentlich jemanden aus den eigenen Reihen, und niemand verliert sein Zuhause. Bei solchen Auseinandersetzungen sind selten mehr als tausend Männer auf beiden Seiten gestorben.«
»Verstehe. Aber seitdem hat sich viel verändert, stimmt’s?« Sie läßt sich in den Autositz zurücksinken wie ein Kind.
» Muay Thai ist in den Siebzigern entstanden, als Kampfkunstkönner aus Japan, Taiwan und Hongkong unsere Jungs herausforderten. Die Spitzenleute in Karate, Kung-Fu, Judo und allen anderen Sportarten kamen zu einem großen Wettbewerb in unser Land.« Ich mache eine Pause, um die Spannung zu erhöhen.
»Aha. Und was ist passiert? Wahrscheinlich haben die andern verloren, sonst würden Sie nicht so schauen.«
»Keiner von den andern hat mehr als eine Minute mit einem Thai-Boxer überstanden. Sie waren’s einfach nicht gewöhnt, Tritte ins Gesicht zu bekommen. Unsere Jungs werden vom sechsten Lebensjahr an trainiert, das auszuhalten. Die andern sahen eher aus wie Tänzer, nicht wie Kämpfer.«
»Und die Moral von der Geschicht’? Provoziere einen Thai nicht, stimmt’s?«
»Es ist jedenfalls nicht gut, uns wütend zu machen.«
Wir schweigen fünf Minuten lang. Meine Stimmung droht, wieder zu kippen.
»Wollen Sie darüber sprechen?« fragt Kimberley Jones, ohne mich anzusehen. »In den Staaten sagen wir, es ist gut, über Dinge zu reden, die uns auf der Seele liegen. Sonchai,
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