Der Jadereiter
meinem gebügelten Khakihemd, der weißen Hose und den hochglanzpolierten schwarzen Schnürschuhen zu tun (alles Massenware; die Schuhe sind besonders häßlich). Als wir den Parkplatz erreichen, weist die FBI-Frau mir die Rolle des einheimischen Führers zu.
Wieso nur habe ich das Gefühl, daß sie diesen Moment bereits in ihrem Büro in Quantico geplant und sich ausgemalt hat, wie sie Sylvester Warren schnappen würde? Heute morgen sind ihre Haare wieder blond; sie trägt eine Sonnenbrille von Gucci, einen schwarzen Hosenanzug von Yves Saint Laurent, eine weiße Bluse sowie eine Kette mit winzigen Perlen.
»Ich komme aus New York und bin zum Shoppen hier«, erklärt sie mir. »Und Sie sind mein Mädchen für alles.«
Wir fahren mit der Rolltreppe zur zweiten Ebene hinauf, wo sich direkt vor uns, in Spitzenlage, Warren Fine Art befindet. Kimberley Jones hat sich hinsichtlich der Öffnungszeit getäuscht. Geschäfte dieser Art werden erst um elf von einer übertrieben schick gekleideten, ausgesprochen hübschen Frau mit einem Gähnen geöffnet. Clevere Käufer kommen nicht auf Verdacht hierher, sie vereinbaren einen Termin, denn für den richtigen cleveren Käufer würde die hübsche Frau die Tür auch um Mitternacht aufmachen. Wir sehen ins Schaufenster; Kimberley Jones demonstriert ihren Sachverstand.
»Gar nicht schlecht. Der Buddhakopf ist eindeutig Khmer; jemand hat ihn aus Angkor Wat mitgehen lassen. Ohne seine Kontakte säße Warren schon allein deswegen im Gefängnis.« Wir gehen zum nächsten Schaufenster, der Abteilung für Jade und anderen Schmuck. Dieser Laden ist ganz anders als die Schmuckgeschäfte in Chinatown oder dem Rest von Krung Thep. Die ausgestellten Stücke sind fast alle aus Jade, oft in Gold gefaßt: Gold- und Jadehalsketten, Gold- und Jadearmbänder, Ohrringe. Inmitten der grünen See befinden sich einige Highlights, die dem Betrachter den Eindruck vermitteln, daß das ganze Fenster einst von kaiserlichen Eunuchen in der Verbotenen Stadt bewacht wurde. »Sehen Sie die Kondor-Plakette? Der kahle Kopf, die Falten am Hals des Vogels? Wie genau ein Mensch des Neolithikums, der noch nicht schreiben konnte und vermutlich nicht mehr als ein paar hundert Wörter beherrschte, dieses Tier beobachtet, die Charakteristika erkannt und es künstlerisch dargestellt hat! Das könnten die meisten College-Studenten heute nicht mehr. Sie würden nicht mal verstehen, wovon ich spreche.«
Ich sehe sie an. Hier ist wieder eine Facette ihrer Persönlichkeit, eine, die mich überrascht. Ich habe mir ziemlich viele Gedanken über die karmische Verbindung zwischen Kimberley Jones und Sylvester Warren gemacht, ohne auf einen grünen Zweig gekommen zu sein. Sicher ist nur, daß Warren sie aus der Ferne beeinflußt hat. Sie hört sich an wie er. Mit ihrem farang- Gehirnsieht sie die Bedeutung nicht; sie ist der aufrichtigen Überzeugung, daß sie sich zur Expertin für fernöstliche Kunst entwickelt hat, um Warren dingfest zu machen. Sie würde es als Beweis ihrer eigenen Schwäche verstehen, wenn sie zugeben müßte, daß Warren ihr die Augen geöffnet hat, ohne daß die beiden sich je persönlich begegnet wären. Aus der Ferne hat er ihr Schicksal auf ewig verändert. Mit welchem Kollegen vom FBI könnte sie diese neue Leidenschaft für asiatische Kunst teilen? Sogar ihre Familie wird sie früher oder später seltsam finden, und diese Merkwürdigkeit wird ihr neuer Pfad sein. Ich wage es nicht, sie zu warnen, daß es ihr bestimmt ist, wieder und wieder in mein Land zurückzukehren. Ich sehe voraus, daß der Reiz – zumindest anfangs – von ihrer Möse ausgehen wird. Der Weg zum Herzen des farang führt unweigerlich über seine Genitalien.
»Wow! Der Tiger da ist von unschätzbarem Wert«, erklärt Kimberley Jones gerade. »Das ist der Blickfang, das Stück, das dem Betrachter sagt, daß er es mit dem König der Jade zu tun hat.« Ihre Stimme wird eine Oktave höher, als sie hinzufügt: »Schauen Sie bloß, wie der Künstler die Muskeln gestaltet hat, um Kraft und Harmonie auszudrücken. Beine, Hinterteil, Rücken, Schulter, Bauch – alles steht in perfektem Einklang.«
»Aber das Stück ist nicht grün«, widerspreche ich.
»Genau. Nach ungefähr tausend Jahren verliert Jade die Farbe. Der Tiger stammt aus der frühen westlichen Zhou-Dynastie. Den verkauft er sicher nicht. Den Kenner schreckt ein solches Stück ab.« Sie schüttelt den Kopf. »Es wundert mich, daß er den Mut besitzt, so etwas im
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