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Der Jadereiter

Der Jadereiter

Titel: Der Jadereiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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wirtschaftlicher Entwicklungen, sondern wegen einer subtilen Veränderung des Bewußtseins. Das neue Zeitalter der Biotechnologie macht hochentwickelte Intuition erforderlich, die nichts mit Logik zu tun hat. Außerdem wird die Zerstörung der westlichen Gesellschaft aus dem Innern heraus so weit fortgeschritten sein, daß der größte Teil ihrer Energien sich darauf konzentrieren muß, Wahnsinnige in Schach zu halten. Es wird Fernsehbilder von Menschen geben, die aus Supermärkten fliehen, die Hände gegen den Kopf gepreßt, weil sie die Banalität nicht mehr ertragen. Die Völker Südostasiens, die nie von der Logik vergiftet worden sind, werden am Steuer sitzen. Es wird wieder so sein wie früher – wenn man in Jahrtausenden denkt.
    Ich fühlte mich geschmeichelt, daß der Klostervorsteher mich und nicht Pichai in diesen Aspekt seiner Erleuchtung einweihte, auch wenn er die Details, zum Beispiel, wie man die Gewinnzahlen der Lotterie vorhersagt, für sich behielt (andererseits machte er Pichai mit den tiefsten Mysterien der Beziehung zwischen den sogenannten Lebenden und den sogenannten Toten bekannt).
    Es wird keinen weiteren Weltkrieg geben, aber gegen Mitte dieses Jahrhunderts werden alle Länder außer Island und Neuseeland in mehr oder weniger heftige Auseinandersetzungen um Wasserrechte verwickelt sein. Papua Neuguinea schlägt Argentinien im Endspiel der Fußballweltmeisterschaft 2056 mit 3:1. Der Titel Wie man mit Wahnsinnigen fertig wird, ohne selbst einer zu werden, führt die Bestsellerlisten das ganze Jahr 2038 an. Marihuana, dessen Genuß inzwischen weltweit legal ist, verdrängt den Alkohol als Hauptfreizeitdroge in Europa, sogar in Frankreich, wo der Gesetzgeber sich bemüht, es (ähnlich wie Champagne Jaune, Bordeaux Blond oder Noir de Bourgogne) in die appellation-contrôlée- Vorschriften einzubinden.

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    Diesen Morgen wache ich früh auf und verbringe vor Geschäftsöffnung eine Stunde im Emporium-Gebäude an der Sukhumvit Road. Ich sehe, daß die bunten Farben, die einst bei Yves Saint Laurent ihren Ursprung nahmen, nach Italien, hauptsächlich zu Versace und Armani, gewandert sind, während Saint Laurent sich wieder den Schwarz- und Brauntönen zugewandt hat. Ermenegildo Zegna hingegen ist immer dem glänzenden Beige treu geblieben, das bei seinen superfeinen Wollstoffen so gut aussieht. Einen Moment lang betrachte ich sehnsüchtig seinen Kamelhaarzweireiher mit den Hornknopfimitaten (er kostet ungefähr tausendfünfhundert US-Dollar), aber meine eigentliche Aufmerksamkeit gilt Armani mit seiner neuen Kollektion von Seidensatinkrawatten, Einknopf-Kaschmirsportsakkos sowie zweireihigen Karoanzügen mit vier Knöpfen. Sie wirken subtiler, weltmännischer als die des verstorbenen Versace, ohne ihre Vitalität und italienische (der thailändischen so ähnliche) Verspieltheit in den Hahnentritt-, gestreiften Frack- oder Wollcrêpe-Hemden zu verleugnen. Aber meine wahre Schwäche sind Schuhe, und so verbringe ich den größten Teil der Zeit damit, die Bally-Kollektion anzustarren (matt glänzende mahagonifarbene Slipper, ein Paar gewagte Budapester, die mich an den Gatsby-Film erinnern, sowie einige phantastische Damenmodelle mit Absätzen und Spitzen, die bei keinem anderen durchgehen würden). Allerdings lasse ich auch die Sachen von Fila, Ferragamo, Gucci oder die exotischen Baker-Benjes nicht außer acht, die es erst seit kurzem in unserem Königreich gibt. Gern würde ich behaupten, daß diese Charakterschwäche auf den farang- Anteilin meinem Blut zurückzuführen ist, aber in Wahrheit haben Monsieur Truffaut und Fritz, beide auf ihre Art ausgeprägte Narzisse und Kleidungsfanatiker, meine Entwicklung nachhaltig beeinflußt. Die Anweisung der FBI-Frau, mich »schick« zu machen, hat mich in eine Minderwertigkeitskrise gestürzt, aus der ich nur mit Hilfe von Meditation wieder herauskommen werde. Ich habe es satt – genauer gesagt, meine nicht-buddhistische Seite hat es satt –, arm zu sein; ziemlich niedergeschlagen fahre ich mit dem Motorradtaxi ins Hilton zu Kimberley Jones. Sie hat wieder den Chauffeur angeheuert, der uns zum River-City-Einkaufszentrum bringt.
    Auf dem Rücksitz des Wagens erkläre ich: »In River City kaufen die Reichen und Dummen asiatische Kunst. Dort zahlt man einen hundertprozentigen Aufpreis für die sensible Präsentation des Stücks und die gezierte Verkäuferin. Das ist ein Einkaufszentrum für Kunstinteressierte.«
    Die Anspannung in meiner Stimme hat mit

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