Der Jadereiter
so ähnlich, stimmt’s? Er hat was davon erwähnt – war so eine Marotte von ihm. Viel hat er nicht darüber geredet, weil ich nie so scharf auf Schmuck war wie er. Meinetwegen kann ein Nigger mit Gold, Perlen, was auch immer protzen. Billy hat sich schon als Junge für Schmuck interessiert, das war ein Teil seiner kleinen Seele.«
»Sagt Ihnen der Name Sylvester Warren etwas?«
Er schüttelt den Kopf, während er das restliche Fleisch vom Knochen zieht.
»Das ist ein schwerreicher Schmuck- und Kunsthändler, der den Präsidenten persönlich kennt. Er kommt einmal im Monat hierher.«
Elijahs Gesicht bleibt ausdruckslos. Er schüttelt noch einmal den Kopf, bevor er sich über die Nachos hermacht. Mit vollem Mund sagt er: »Wir haben ’ne ganze Menge Schwerreiche, die sich ihre Kicks außerhalb von Amerika holen. Es ist nicht mehr so wie früher. Heute gibt’s Medien, Gedankenpolizei, elektronische Überwachung. Ein Weißer, der Kontakt mit dem Präsidenten hat, kann es sich nicht mal leisten, seine Sekretärin schief anzuschauen. Die sind da nicht so großzügig wie wir Schwarzen. Tja, haben sich’s selber verscherzt. Kein Wunder, daß dieser Warren jeden Monat hierherkommt. Kannte er Billy?«
»Sie haben sich E-Mails geschrieben.«
»Glauben Sie, er hat ihn umgebracht?«
Ich zucke mit den Achseln. »Ein Motiv ist nicht bekannt.«
Elijah betrachtet den Kartoffelsalat auf seiner Gabel.
»Ich wüßte auch keinen Grund. Billy hat sein ganzes Leben lang versucht, so groß wie sein Körper zu sein, aber am Ende war er dann doch bloß ein kleiner Mann, ein Sergeant der Marines, der sich gern billige Mösen aus Go-go-Bars der Dritten Welt holte. Er war einfach nicht wichtig genug, als daß ein reicher Weißer ihn hätte umbringen müssen.«
»Eine Frage noch: Hatte Ihr Bruder Angst vor Schlangen?«
»Jeder Schwarze in Harlem hat Angst vor Schlangen, obwohl’s schon ein paar Generationen her ist, daß wir in der Wildnis gelebt haben. Klar, er hatte genauso Angst vor Schlangen wie ich. Ich hab ihn immer aufgezogen. Wenn du zum Militär gehst, hab ich gesagt, schicken sie dich in den Dschungel von Südostasien, da wimmelt’s bloß so von Boas. Tja, ich hatte wohl recht.«
»Haben Sie vor, den Tod Ihres Bruders zu rächen, Mr. Bradley?«
Die Frage, die ich für naheliegend halte, überrascht ihn. Er legt die Gabel weg und rückt mit dem Stuhl ein Stück zurück. »Rache?« Er kratzt sich am Kopf. »Ich hab nur ein einziges Mal jemanden ins Jenseits befördern lassen, weil der mich hinters Licht führen wollte. Wenn in dem Geschäft so was passiert, hat man keine andere Wahl, aber offen gestanden: Ich bereue es immer noch. Ich halte nichts von Gewalttätigkeit. Dank meiner Körpergröße komme ich meistens ohne aus.«
»Dann haben Sie ihn also nicht geliebt?«
»Keine Ahnung. Er war mein Bruder, aber wir standen uns nicht sehr nahe. Ich bin da, um seinen Nachlaß zu regeln. Wir gehören unterschiedlichen Kulturen an, Detective. In den Staaten lassen sich bloß die Leute von der Mafia auf solche Vendetta-Sachen ein. Wir Schwarze halten uns lieber an das Gesetz. Und was werden Sie machen, wenn Sie wissen, wer’s war?«
»Die Täter umbringen«, sage ich lächelnd.
Es ist vier Uhr zweiunddreißig morgens, als ich in mein Zimmer zurückkomme. Wie üblich hatte ich vergessen, das Handy mitzunehmen. Es fängt zu piepsen an, als ich gerade einschlafe: Das Display zeigt an, daß mir jemand eine SMS geschickt hat. Ich drücke auf ein paar Knöpfe; schließlich erscheint die Nachricht:
River City, 2. Ebene, Warren Fine Art and Jewelry. Öffnet um 10 Uhr morgens. Wir sehen uns dort. K. J. PS: Machen Sie sich schick.
Zwischen Wachen und Schlafen kehren meine Gedanken in den Dildo-Garten des Hilton zurück. Meditation ist eine Methode, die Realität der Phantasie vorzuziehen, hat unser Klostervorsteher immer gesagt. Der kleine Wald von Schwänzen hätte ihn nicht aus der Fassung gebracht, das Hilton möglicherweise schon. Wie viele Klostervorsteher auf dem Land beruft er sich auf den Schamanismus der heidnischen Zeit und sagt gern die Zukunft voraus. Einmal hat er die Gewinnzahlen der nationalen Lotterie prophezeit, einfach so zum Spaß, aber den Zettel, auf dem er sie notierte, bis zur Ziehung versteckt, um seine Mönche nicht in Versuchung zu führen. Mitte des einundzwanzigsten Jahrhunderts wird es zu einer Verschiebung der Macht von West nach Ost kommen, nicht aufgrund eines Krieges oder
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