Der Jadereiter
meine Erinnerung zu schützen: die alte Pont au Change, die die Île de la Cité mit dem rechten Seine-Ufer verbindet, vierstöckige Gebäude auf der Brücke, mittendrin ein Parfümeur. Ein dunkler, modriger Arbeitsraum, von der Decke bis zum Boden gefüllt mit Gefäßen voll Moschus, Kastor-, Neroli- und Vetiveröl, Zimt, Tuberose, Amber, Zibet, Sandelholz, Bergamotte, Patschuli, Opopanax. Nong ist dort, in den wallenden Röcken einer Kurtisane der Mittelklasse, und Monsieur Truffaut mit seiner blendend weißen Pferdehaarperücke. Schön, das mag etwas mit meiner Phantasie, vielleicht auch mit Autosuggestion zu tun haben, aber woher weiß ich, daß es im achtzehnten Jahrhundert Gebäude auf der Pont au Change gab? Heute ist keine Spur mehr von ihnen zu sehen, und ich habe Tage gebraucht, um ihre damalige Existenz im Internet nachzuprüfen. Ich bin ein Thai-Cop, ich hatte keine Ahnung, daß es jemals so etwas wie Brücken mit Geschäften darauf gab.
Ich beschließe, Kimberley Jones doch davon zu erzählen. Sie sieht mich schweigend an und schüttelt den Kopf.
»Wenn Sie bloß nicht so verdammt süß wären. Wieso wissen Sie die Namen der ganzen Duftstoffe? Ich kenne höchstens die Hälfte.«
Farangs stecken voller Überraschungen. Mein Wissen beeindruckt sie, nicht die Qualität des Beweises.
Die FBI-Frau muß nicht fragen, warum wir zu der Krokodilfarm fahren. Schlangen als Mordwaffe sind eher selten, und keiner unserer Forensiker besitzt die Kompetenz, das Blut von Reptilien zu analysieren. Kimberley Jones weiß, daß die Python und die Kobras, die nicht nach Quantico geschickt worden sind, sich jetzt zur genaueren Untersuchung auf der Krokodilfarm bei Dr. Bhasra Trakit befinden. Die Farm liegt außerhalb der Stadt, in der Nähe der Hauptstraße nach Pattaya. Ich schätze, daß wir vier Stunden dorthin benötigen werden; es ist kurz vor acht Uhr morgens, als wir uns auf den Weg machen. Die Sonne schimmert durch den Dunst wie eine verdorbene, an den Rändern matschige Orange. Um nicht mit Kimberley Jones reden zu müssen, gebe ich vor zu dösen, während ich in Wirklichkeit meditiere.
Auf der Auffahrt zu dem kleinen Verwaltungsgebäude sind keine Krokodile oder andere Reptilien zu sehen; die FBI-Frau scheint zu hoffen, daß sie überhaupt keine zu Gesicht bekommen wird. Dr. Trakit trägt einen weißen Arztkittel und spielt mit einem Tier auf ihrem Schreibtisch. »Darf ich Ihnen Bill Gates vorstellen?« sagt sie lächelnd in perfektem Englisch. Bill Gates wirkt putzig, fast wie ein Spielzeug. Er besteht zu ungefähr zwanzig Prozent aus Maul und grinst schief, als die Ärztin ihn sanft am Nacken drückt und streichelt. Sein Bauch ist cremig-weiß, der obere Teil seines Körpers graugrün. Dr. Trakit lächelt Kimberley Jones an wie eine stolze Mutter und hält ihr Bill Gates hin. »Gehen Sie vorsichtig mit ihm um.«
»Wie alt ist er?«
»Erst drei Monate. Sie sind sehr empfindlich, besonders in Gefangenschaft. Wollen wir?«
Dr. Trakit hat schon hinter ihrem Schreibtisch winzig gewirkt. Nun, da sie sich erhebt, erkennen wir, daß sie kaum größer ist als eins fünfzig und sehr schlank. Sie läßt Bill Gates in die Tasche ihres Kittels gleiten und geht vor uns hinaus in die Hitze des Tages.
Jetzt sehen wir sie, die Massen träger Schuppen, halb im Wasser sumpfiger Becken. Der Körper von Kimberley Jones verkrampft sich. Zu Hause in den Staaten hätte es natürlich zahllose Sicherheitsmaßnahmen gegeben, doch hier in der Dritten Welt … Natürlich muß ich die einzige FBI-Agentin sein, die während eines Besuchs in einem forensischen Labor von einem Krokodil gefressen wird. »Gehen Sie leise«, sagt Dr. Trakit. »Sie sind sehr sensibel. Bei lauten Geräuschen geraten sie in Panik und klettern aufeinander, besonders die jüngeren, und dann ersticken die unteren. Außerdem verfallen sie in Depressionen.«
Kimberley Jones geht fast auf Zehenspitzen. »In Depressionen? «
»Ja. Und es ist bei einem Krokodil sehr viel schwieriger festzustellen, ob es unter Depressionen leidet, als bei einem Menschen oder einem Hund. Krokodile bewegen sich kaum, egal, wie ihre psychische Verfassung ist. Man merkt es erst, wenn sie aufhören zu fressen. Da wären wir; das ist die Klinik.«
Wir betreten ein langgezogenes flaches Gebäude, in dem uns tropische Feuchtigkeit, vermischt mit dem Geruch nach verrottendem Gemüse und verwesendem Fleisch, entgegenschlägt. »Entschuldigen Sie mich einen Augenblick«, sagt
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