Der Jadereiter
Dr. Trakit, tritt an einen Kühlschrank und holt etwas heraus, das aussieht wie ein halbgefrorenes Hühnchen. Wir folgen ihr zu einer weißen Tür, durch die sie mit dem Finger auf den Lippen tritt. Auf einem langen Tisch befindet sich ein um die Leibesmitte und am Schwanz mit Gurten festgeschnalltes Krokodil. Das Reptil ist mehr als zwei Meter fünfzig lang; die kurzen Beine werden durch Ketten festgehalten. Der Kiefer des Tieres ist mit Hilfe eines dicken Seils geöffnet; es scheint zu schlafen. Kimberley Jones bleibt an der Tür stehen. »Moment«, sagt Dr. Trakit, geht zu einem Hackklotz auf der anderen Seite des Raums und zerteilt das Hühnchen mit einem Fleischbeil. Dann legt sie mit ihrer winzigen Hand die Stücke in das Maul des Krokodils und läßt sie auf seiner Zunge hin und her gleiten, bis diese sich langsam zu bewegen beginnt. Ich muß zugeben, daß ich mich am Entsetzen von Kimberley Jones ergötze.
»Ich möchte, daß Samantha wieder Appetit bekommt. Schauen Sie, ihre Geschmacksnerven erwachen zu neuem Leben. Sie leidet unter Depressionen, seit wir versehentlich ihr Becken trockengelegt haben. Wenn der Wasserpegel zu schnell absinkt, geraten sie in Panik. Das ist ein Reflex aus der Wildnis. Die meisten Krokodile sterben vorzeitig, weil ihre Wasserlöcher austrocknen. Hast du wirklich gedacht, wir lassen dich elend verenden, mein Schätzchen? Das Leben hat doch einen Sinn.« Dr. Trakit löst das an einem Flaschenzug an der Decke befestigte Seil, so daß Samantha den Oberkiefer frei bewegen kann. Kimberley Jones tritt zwei Schritte zurück und steht jetzt auf dem Flur. Sehr, sehr langsam beginnt Samantha an dem Hühnchen zu kauen. »Siehst du«, sagt Dr. Trakit. »Am Ende geht’s eben doch ums Fressen.«
Über einen Flur führt sie uns zu einem Edelstahlschrank mit Tabletts unterschiedlicher Größe. »Da wären sie«, sagt Dr. Trakit, während sie eines der Tabletts herauszieht: die Leichen der Kobras. Einige von ihnen sind ordentlich seziert, andere wirken, abgesehen von den Einschußlöchern, unversehrt. »Sie sind an den Schußwunden gestorben.«
Dr. Trakit sieht mich an. »Und wie ich Ihnen bereits am Telefon gesagt habe, standen sie alle unter dem Einfluß von Methamphetamin, also yaa baa. «Sie mustert die FBI-Frau mit einem aufrichtigen Blick. »Nur sehr wenige Reptilien sind von Natur aus aggressiv, außer wenn sie Hunger haben oder ihre Jungen schützen müssen. Das Tierreich hat gelernt, den Menschen zu fürchten. Reptilien würden uns nur in Panik oder, wie hier, unter Drogeneinfluß angreifen.«
»Was für eine Art von yaa baa? «frage ich, bemüht, nicht allzu informiert zu klingen. »War es verschnitten?«
»Ja, mit Dünger.« Dr. Trakit erschaudert. »So etwas Brutales.«
»Stimmt«, pflichte ich ihr bei.
»Das bedeutet, daß der Täter sich das billigste yaa baa auf dem Schwarzmarkt besorgt hat. Es stellt sich nur die Frage, wie es verabreicht wurde. Wie gibt man einer Kobra eine yaa-baa- Spritze ? Natürlich haben wir Injektionstechniken bei Schlangen, normalerweise durch den Anus.«
»Ziemlich viel Arbeit für den Mörder«, meldet sich Kimberley Jones zu Wort. Sie hält Sicherheitsabstand zu dem Schrank, aber immerhin hat ihr Gesicht wieder Farbe angenommen. Schließlich sind diese Schlangen unwiderruflich tot.
»Genau. Außerdem ist es bestimmt nicht so gelaufen. Leider kann ich Ihnen bei der Lösung des Problems nicht helfen: Wir haben in den Schlangen unterschiedlich hohe Drogenmengen gefunden, Mengen, die in der jeweils richtigen Relation zu ihrem Körpergewicht standen.«
»Könnte das yaa baa dem Futter beigemischt gewesen sein?«
»Daran habe ich natürlich auch schon gedacht. Aber die Droge hätte bei den kleineren Schlangen sehr schnell zu wirken begonnen – der Täter hätte also vor dem kaum zu bewältigenden logistischen Problem gestanden, ein Dutzend drogenbenebelter Schlangen zu handhaben. Das erklärt außerdem nicht, wieso alle Schlangen die richtige Drogenmenge für ihr Körpergewicht enthielten. Wenn man yaa-baa- Pulverübers Futter streut, läßt sich die gleichmäßige Verteilung nicht garantieren – es sei denn natürlich, man arbeitet unter Laborbedingungen.« Dr. Trakit zuckt mit den Achseln. »Mehr kann ich Ihnen zu dem Thema auch nicht sagen. Es ist ein Rätsel, das unheimlichste, das mir je untergekommen ist.« Sie schiebt die Schublade in den Schrank zurück und zieht eine andere, bedeutend größere weiter unten heraus. Darin liegt
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