Der Jäger
sich etwas oberhalb der Nasenwurzel, die Kugel war am Hinterkopf ausgetreten, musste das Gehirn förmlich zerfetzt haben. Sie steckte jetzt in der Sessellehne hinter Lewells Kopf. Das wenige Blut war verkrustet, Lewell fühlte sich kalt an. Seine Augen waren geschlossen, sein Gesichtsausdruck zeigte weder ungläubiges Staunen noch Entsetzen wie so oft, wenn man gewaltsam zu Tode Gekommene zu Gesicht bekam.
»Hier hat jemand ganze Arbeit geleistet«, erklärte Durant. »Damit können wir ihn wohl von unserer Liste streichen. Ruf Berger an, er soll unsere Leute herschicken.«
Nachdem Hellmer das Telefonat beendet hatte, sagte sie: »Was geht hier vor? Was geht hier bloß vor? Dieses verdammte Arschloch! Warum hat er gestern nicht sein Maul aufgemacht? Sag’s mir!« Sie schlug vor Wut mit einer Faust ein paar Mal gegen die Wand.
Hellmer zuckte hilflos die Schultern. »Vielleicht, weil er ein Arschloch war … Aber jetzt ist er zumindest geläutert«, fügte er grinsend hinzu.
»Dein makabrer Humor ist manchmal wirklich umwerfend. Womöglich hat er auch geahnt, wer für die Morde verantwortlich ist, und hat sich dabei zu weit aus dem Fenster gelehnt. Vielleicht wollte er uns beweisen, was für ein toller Kerl er ist, und uns den Killer auf dem Präsentierteller servieren, hat dabei jedoch leider übersehen, dass er ihm nicht gewachsen war.«
»Das würde aber bedeuten, er hat sich gestern noch mit ihm getroffen …«
»… Und ihm erzählt, dass wir hier waren. Vermutlich jemand, der mit Lewell sehr gut befreundet war. Vielleicht sogar sein bester Freund, mit dem er über alles reden konnte und der womöglich auch die Lebensgeschichte von Lewell aus dem Effeff kannte. Sie waren so gut befreundet, dass Lewell nichts befürchtete. Und das war sein Verhängnis. Was immer Lewell ihm auch gesagt oder angedeutet hat, für unseren Mann wurde er zu einem Sicherheitsrisiko.«
»Und wie kommst du darauf, dass es ein Freund war?«, fragte Hellmer ruhig.
»Siehst du hier etwa Spuren eines Kampfes? Hier schaut es wie in einem ganz normalen Wohnzimmer aus. Etwas edler und gediegener vielleicht, aber ordentlich. Kein umgekippter Stuhl oder Sessel, nichts. Nur das Glas und die Pfeife auf dem Teppich. Wer immer hier war, es war jemand, dem Lewell vertraut hat. Den er möglicherweise verdächtigt hat, entweder direkt etwas mit den Morden zu tun zu haben oder zumindest zu wissen, wer dahinter stecken könnte. Nur hat er dabei vergessen, die Schlange am Kopf zu packen, weil er nicht im Geringsten ahnte, dass sie sofort zubeißen würde.«
»Überzeugt. Schauen wir uns doch mal in seinem Büro um«, sagte Hellmer.
»Ich möchte wetten, wir finden nichts, aber auch gar nichts. Keine Daten oder Dateien auf dem Computer, kein Notizbuch, keinen Terminplaner, nichts.« Durant sah Hellmer kopfschüttelnd an. »Das Spiel ist noch nicht zu Ende, es hat vielleicht gerade erst begonnen. Und wer immer ihm diesen Fangschuss verpasst hat, es ist derselbe, der auch unsere Frauen umgebracht hat. Der Typ ist so was von heiß gelaufen, er kennt absolut keine Skrupel mehr.« Sie zog sich Plastikhandschuhe an, beugte sich über Lewell, befühlte sein Kiefergelenk, prüfte die Beweglichkeit des Schultergelenks und der Ellbogen. »Ich schätze, er ist seit mindestens sieben Stunden tot. Irgendwann zwischen Mitternacht und drei hat’s ihn erwischt, vermute ich mal. Die Leichenstarre hat längst eingesetzt.« Sie atmete tief durch, lehnte sich an den Schrank, machte ein ratloses Gesicht, das plötzlich einen wütenden Zug annahm. Julia Durant ballte die Fäuste. Sie hatte Mühe, ihren Zorn und ihre unsägliche Ohnmacht gegenüber diesem Phantom zu unterdrücken und laut zu schreien. »Wenn der doch nur seinen Mund aufgemacht hätte! Dann hätten wir diesen Dreckskerl wahrscheinlich schon. Aber jetzt kann er ungestört weitermachen. Denn jetzt ist der Mann, der ihn hätte belasten können, tot. Mausetot. Und wir stehen wieder am Anfang. Und machen uns so allmählich zum Gespött der Leute.«
Ihr fiel auf einmal wieder der Traum ein, den sie zweimal innerhalb weniger Tage gehabt hatte, zuletzt vergangene Nacht. Das Eingesperrtsein, die verschlossenen Ausgänge, das Oberlicht, durch das sie aber nicht ins Freie gelangen konnte, weil eine Eisenstange den Ausstieg verhinderte. Allmählich bekam dieser Traum einen Sinn. Sie war eingesperrt, und das Oberlicht war der einzige Weg nach draußen. Das Problem war die Eisenstange. Wenn es ihr gelänge, diese zu
Weitere Kostenlose Bücher