Der Jäger
Durant und Hellmer nach draußen gingen, um eine Zigarette zu rauchen. Der Himmel war wolkenverhangen, ein kühler Wind kam von Westen. Frankfurt war in der diesigen Luft nur als Silhouette auszumachen.
»Guck dir mal an, wie weit die Häuser hier auseinander stehen«, sagte Hellmer und blies den Rauch durch die Nase aus. »Von den Nachbarn hat mit Sicherheit keiner auch nur das Geringste mitgekriegt. Hier werden abends um acht die Rollläden runtergelassen und die Bürgersteige hochgeklappt, genau wie bei uns in Hattersheim. Man kennt sich vom Sehen, man grüßt sich vielleicht auf der Straße, mehr aber auch nicht. Es ist im Prinzip nichtviel anders als in diesen eintönigen Hochhäusern. Heute will keiner mehr etwas mit dem andern zu tun haben. Das hat man ja auch bei der Koslowski gesehen. Gekannt hat sie keiner dort. Scheißwelt!«
Sie warfen ihre Zigarettenkippen auf den Boden und gingen zurück ins Haus. Der Fotograf packte seine Geräte ein und verließ mit einem Kopfnicken das Zimmer. Sie sahen Bock zu, wie er den Toten untersuchte, ein paar Mal wortlos den Kopf schüttelte, die Temperatur maß. Nach etwa zwanzig Minuten sagte er: »Vermutlich wurde er heute Nacht gegen zwei Uhr erschossen. Die Kugel wurde aus etwa einem Meter Entfernung abgefeuert …«
»Augenblick, heißt das, sein Mörder hat sich hingekniet und dann in aller Seelenruhe abgedrückt?«
Bock nickte. »So ungefähr wird es sich abgespielt haben. Die Kugel ist von schräg unten abgefeuert worden. Sie ist etwa in Höhe der Nasenwurzel eingedrungen, hat den Frontallappen, den Temporallappen und den Parietallappen durchquert und ist am Hinterkopf etwas unterhalb der Fontanelle wieder ausgetreten. Und wenn Sie genau hinschauen, dann sehen Sie, dass die Kugel exakt da steckt, wo sie hingehört.« Er deutete auf das Loch in der Sessellehne. »Eintrittswinkel und Austrittswinkel. Der Mörder hat sich entweder gebückt oder hingekniet und dann genau gezielt. Das Opfer ist mit absoluter Sicherheit im Schlaf überrascht worden. Aller Wahrscheinlichkeit nach ein Vollmantelgeschoss, aber das wissen Sie ja sicher selbst. Eine Bleikugel wäre im Schädel stecken geblieben. Hat das was mit den Frauenmorden zu tun?«, fragte er, während er seine Tasche schloss.
»Indirekt schon«, antwortete Durant. »Aber das ist eine lange Geschichte.« Und an die Spurensicherung gewandt: »Arbeitet hier so gründlich wie nie zuvor. Untersucht alles auf Fingerabdrücke, Faserspuren, Zigarettenkippen und so weiter. Seht vor allem mal an der Haustür nach, ob ihr irgendwelche Spuren findet, die auf ein gewaltsames Eindringen schließen lassen. Aberihr wisst ja, wie ihr’s zu machen habt. Und die Ballistiker sollen die Kugel untersuchen.«
Durant und Hellmer blieben noch etwa eine halbe Stunde im Haus, bevor sie in ihren Wagen stiegen, um nach Frankfurt zurückzufahren. Die Kommissarin baute jetzt auf Richter, auf seinen Bericht, sein Täterprofil. Sie wusste, wenn einer es schaffte, ein einigermaßen genaues Bild vom Täter zu zeichnen, dann er. Sie hätte heute Morgen mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass sie Lewell tot auffinden würden. Irgendwie hatte sie zumindest die Vermutung gehabt, er könnte doch mit den Morden in Zusammenhang gebracht werden, vielleicht, um den Fall schnell beenden zu können. Und jetzt … Während der Fahrt nach Frankfurt sah sie aus dem Seitenfenster, doch ihre Gedanken waren weit weg.
Donnerstag, 10.00 Uhr
Richter hatte nur vier Stunden geschlafen, war um kurz vor sechs aufgestanden, hatte sich frisch gemacht, zwei Tassen schwarzen Kaffee getrunken und drei Scheiben Toast mit Marmelade gegessen. Danach hatte er sich in sein Büro begeben, um noch einmal in aller Ruhe den Bericht durchzugehen. Er war überzeugt, ein recht präzises psychologisches Profil des Täters gezeichnet zu haben. Er studierte auch noch mal die Akten, um zu überprüfen, ob er etwas übersehen hatte, doch ihm fiel nichts auf. Um kurz nach neun ging er hinaus in den Garten, die Hände in den Hosentaschen. Seine Frau Susanne schlief noch, vermutlich würde sie nicht vor dem Mittag aufstehen. Er blieb etwa zehn Minuten im Garten, danach rief er bei Konrad Lewell an, doch der meldete sich nicht. Er würde es am Nachmittag, bevor er aufs Präsidium fuhr, noch einmal versuchen. Um zehn Uhr hatte Viola Kleiber einen Termin bei ihm, bis dahin war noch über einehalbe Stunde Zeit. Er rauchte zwei Zigaretten und trank ein Glas Wasser, packte anschließend
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