Der Jäger
einkaufen geht, dann höchstens ins Main-Taunus-Zentrum, und dann auch bloß zu Zeiten, wo sie weiß, dass nicht zu viele Menschen dort sind. Obwohl, seit einigen Tagen ist sie wie ausgewechselt, sie hat ein paar Dinge getan, die sie seit Jahren nicht gemacht hat.«
»Ist sie wegen dieser Platzangst bei Professor Richter in Behandlung?«
»Unter anderem. Sie hat aber auch noch einige andere psychische Probleme.«
»Es tut mir Leid, aber ich muss diese Frage stellen: Hat sie in jüngster Zeit in irgendeiner Form Selbstmordgedanken geäußert?«
Van Dyck lachte hart auf. »Nein, ganz im Gegenteil. Sie ist bei Professor Richter in allerbesten Händen und macht Fortschritte, das merke ich. Ich habe auch in den letzten Tagen keinerlei Anzeichen depressiver Verstimmungen bei ihr festgestellt. Ich kann mir das alles nicht erklären. Was werden Sie jetzt tun?«
»Wir werden eine Suchmeldung rausgeben, mehr können wir im Augenblick nicht machen. Haben Sie in ihrem Zimmer nachgesehen, ob dort vielleicht eine Nachricht liegt?«
»Ja. Ich kann nur noch einmal betonen, es ist nicht Marias Art, einfach so wegzubleiben. Ich mache mir große Sorgen, dass ihr etwas zugestoßen ist.«
»Wir tun, was wir können, um sie zu finden. Und sollte sie zwischenzeitlich auftauchen, dann informieren Sie uns bitte sofort.«
»Mach ich. Und entschuldigen Sie die Störung.«
»Keine Ursache. Ich habe sowieso Bereitschaft. Und versuchen Sie sich zu beruhigen. Wir übernehmen die Sache.«
»Vielen Dank. Gute Nacht.«
Julia Durant legte den Hörer auf den Tisch. Sie stand auf, zündete sich eine Zigarette an und sagte, an Hellmer gewandt: »Ruf die Kollegen an. Aber es ist ohnehin zu spät. Sie passt aller Wahrscheinlichkeit nach in das Muster. Und wenn der Kerl sie hat, dann ist sie entweder schon tot oder durchläuft gerade die Hölle ihres Lebens. Sie wäre dann Nummer sechs. Ich möchte jetzt nicht in der Haut von van Dyck stecken. Du hast selber gehört, wie aufgeregt der war. So ein junges Mädchen!«
Sie rauchte hastig, nervös, Nadine Hellmer kam zu ihr und legte einen Arm um ihre Schultern. »Komm, beruhig dich, du kannst nichts dafür. Wer immer das macht, er ist krank im Kopf. Doch ihr werdet ihn finden, das weiß ich.«
»Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Denn er oder sie hat einen Plan«, sagte Durant, »und was, wenn er oder sie diesen Plan vollendet hat und wir noch immer auf der Stelle treten? Was dann?«
»Ihr kriegt ihn, so oder so«, versuchte Nadine ihr Mut zu machen. »Und ihr solltet endlich die Presse einschalten und die Bevölkerung zu mehr Wachsamkeit aufrufen. Womöglich hält ihn das ab, noch weiter zu morden. Mein Gott, ihr müsst doch mal die Fotos in die Zeitung bringen und fragen, wer die Frauen zuletzt gesehen hat! Manchmal verstehe ich euch nicht. Ihr wundert euch, wenn die Bevölkerung sauer auf euch ist, aber ihr tut auch nichts, um sie um Hilfe zu bitten. Ihr braucht der Presse ja nicht unbedingt alle Einzelheiten unter die Nase zu reiben, doch vielleichtgibt es ja jemanden, der diese Erika Müller oder wie immer sie heißen kurz vor ihrem Tod gesehen hat oder vielleicht sogar den Täter. Wenn ich euer Chef wäre, ich hätte das schon längst in die Wege geleitet.«
»Nadine, du hast keine Ahnung, wie die Presse auf solche Sachen reagiert«, sagte Hellmer zu seiner Frau. »Die schlachten diese Storys gleich wer weiß wie aus. Und dann kommt noch das Fernsehen mit seinen billigen Sensationsreportagen, und unsere gesamte Ermittlungsarbeit wird behindert. In den letzten Jahren ist das immer schlimmer geworden. Wenn jemand Hysterie verbreiten kann, dann die Medien. Trotzdem denke ich, dass du Recht hast. Wir sollten mit Berger drüber sprechen.«
»Macht das. Und jetzt gehen wir alle schlafen.«
Julia Durant seufzte auf und schüttelte resignierend den Kopf. »Schlafen! Als ob ich jetzt noch schlafen könnte.« Sie drückte die Zigarette aus, setzte sich wieder, ein paar Tränen lösten sich aus ihren Augen.
Nadine Hellmer setzte sich zu ihr und nahm sie in den Arm. »Du kannst doch nichts dafür. Diese Welt ist einfach nur noch krank. Und die Guten kämpfen wie Don Quichote gegen Windmühlen.«
»Ich fürchte, ich verliere allmählich den Glauben an das Gute«, schluchzte Durant. »Es ist alles nur noch Hass und Elend und Gewalt. Und wenn heute einer sagt, dass er die Menschen liebt, dann wird er ausgelacht. Bewundert werden diejenigen, die die Ellbogen benutzen, die andere unterdrücken und
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