Der Jäger
fragte sie nach, obgleich sie wusste, wie idiotisch diese Frage war.
»Wir haben die Vermisstenmeldung vorhin auf den Tisch bekommen. Ein Spaziergänger hat sie entdeckt.«
»Wir sind in etwa einer halben Stunde da. Bitte rühren Sie nichts an. Sind die andern bereits verständigt?«
»Ja, alles schon in die Wege geleitet. Bis gleich.«
Julia Durant atmete ein paar Mal kräftig ein und wieder aus, die Übelkeit war wieder da. Sie stand auf, zog sich an, ging ins Bad, bürstete ihre Haare und sagte leise zu ihrem Spiegelbild: »Du siehst ganz schön beschissen aus.«
Dann wusch sie sich ein weiteres Mal das Gesicht mit kaltem Wasser. Anschließend klopfte sie an die Tür des Schlafzimmers von Frank und Nadine Hellmer und trat, ohne eine Antwort abzuwarten, ein.
»Frank, du musst aufstehen«, sagte sie und rüttelte vorsichtig an seiner Schulter.
»Wie spät ist es?«, murmelte er verschlafen.
»Halb fünf. Ich habe eben einen Anruf vom KDD bekommen. Maria van Dyck ist gefunden worden. Im Holzhausenpark. Wir müssen sofort hin.«
»Scheiße! Mitten in der Stadt!« Er sprang aus dem Bett. Nadine Hellmer drehte sich auf die Seite und sah ihren Mann und Durant aus kleinen Augen an.
»Was macht ihr denn?«
»Das Mädchen ist tot. Sie wurde eben gefunden. Schlaf weiter, Schatz. Ich melde mich nachher.« Er beugte sich über sie, gab ihreinen Kuss und sagte leise: »Ich liebe dich. Ich liebe dich mehr als alles auf der Welt.«
Er zog sich schnell eine Jeans und ein Sweatshirt über und schlüpfte in seine Turnschuhe.
»Pass auf dich auf«, sagte Nadine, und an Julia Durant gewandt: »Und du natürlich auch.«
»Tschüss.«
Hellmer zog leise die Schlafzimmertür hinter sich zu, ging ins Bad und wollte gerade die Tür zumachen, als Durant fragte: »Ich hab Hunger. Hast du vielleicht eine Banane für mich?«
»Alles in der Küche. Bedien dich einfach. Ich mach mich nur schnell fertig.«
Sie nahm sich zwei Bananen, aß eine gleich in der Küche, während Hellmer noch im Bad war, die andere steckte sie in die Innentasche ihrer Lederjacke. Sie schmierte sich eine Scheibe ungetoastetes Toastbrot, legte Schinken drauf und trank ein Glas Milch, während sie aß.
»Können wir?«, fragte Hellmer, der sich eine Jacke überzog.
»Lass mich nur noch schnell die Milch austrinken. Wenn ich morgens nichts im Magen habe, bin ich nur ein halber Mensch.«
»Auf die paar Minuten kommt’s nun auch nicht mehr an. Ich rauch jetzt lieber erst mal eine. Diese elende, gottverdammte Drecksau! Was für eine Kaltblütigkeit, mitten in der Stadt eine Leiche abzulegen!«
»Bei der Albertz war das doch nicht viel anders. Der Kerl ist kalt bis ins Mark. Wahrscheinlich steht er mit seinem Wagen so lange an dem Ort, wo er die Leiche loswerden will, bis Ruhe eingekehrt ist, und dann verrichtet er sein Werk. Anders kann ich’s mir nicht vorstellen. Okay, fahren wir.«
»Mit einem oder mit zwei Autos?«, fragte Hellmer.
»Ich würde lieber bei dir mitfahren, wenn’s dir nichts ausmacht. Du kannst mich ja heute Abend oder wann immer hier wieder absetzen. Im Augenblick ist mir sowieso alles scheißegal.«
»Das darf es aber nicht«, sagte Hellmer, während er den BMW aufschloss und aus der Garage fuhr. »Es darf nicht noch mehr tote Frauen geben, hörst du. Ich denke, Nadine hat Recht, wir müssen die Presse, Rundfunk und Fernsehen einschalten. Wenn der noch ein bisschen länger draußen rumläuft, gibt es ein Desaster. Dann stehen wir womöglich vor der größten Mordserie der Nachkriegszeit. Und das kann keiner von uns wollen.«
»Du hast ja Recht. Wir werden die Medien einweihen, auch wenn Berger nicht begeistert sein wird. Aber keine Details. Das Wichtigste ist, dass alle Skorpionfrauen mit Aszendent Löwe, die sich bei Lewell ein Horoskop erstellen ließen, gewarnt werden. Ansonsten kriegen die weiter keine Informationen.«
Es war noch finstere Nacht, die Wolken, die gestern wie festgeklebt über Frankfurt gehangen hatten, waren fortgezogen, ein breiter Sternenteppich erstreckte sich von Horizont zu Horizont. Hellmer hatte das Radio angemacht, Julia Durant rauchte eine Gauloise.
Sie fuhren über die A66 Richtung Frankfurt, bogen an der Eschersheimer Landstraße rechts ab und von dort links in die Vogtstraße. Sie sahen schon von weitem die rotierenden Blaulichter. Hellmer parkte seinen Wagen in der Hamannstraße, in der sich Schlagloch an Schlagloch reihte und deren Belag offenbar seit dem Krieg nicht ausgebessert worden war. Sie
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