Der Jäger
musste. Und davor hatten die meisten Angst. Nur die Augen drückten immer das Gleiche aus – Furcht vor der Antwort,
der Antwort
.
»Ist Ihre Frau auch da?«, sagte Julia Durant und ließ die Frage unbeantwortet.
»Sie ist im Wohnzimmer. Wir haben die ganze Nacht kein Auge zugemacht. Nehmen Sie doch Platz.«
Er setzte sich in einen der drei gemütlichen weißen Ledersessel, die Beamten nahmen auf der Couch Platz. Claudia van Dyck blickte die Kommissare an, ihre Hände waren wie zum Gebet gefaltet. Sie trug ein kurzes rotes Kleid, das an ihren Oberschenkelnweit hochgerutscht war, sie war noch immer geschminkt vom Abend zuvor und wirkte ganz anders als noch vor drei Tagen, als sie auf Hellmer den Eindruck einer grauen Maus gemacht hatte. Sie hatte schlanke Beine, eine üppige Oberweite und eine schmale Taille, soweit Hellmer das in dem kurzen Moment, in dem er sie betrachtete, feststellen konnte.
Julia Durant räusperte sich, beugte sich nach vorn, die Hände ebenfalls gefaltet, blickte erst zu Boden, dann auf die Eltern des toten Mädchens. »Herr van Dyck, Frau van Dyck, wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass Ihre Tochter gefunden wurde.« Weiter wollte sie nichts sagen, vor allem nicht, dass Maria regelrecht massakriert worden war. Folter und Tod. Die Hölle auf Erden. Nur weil sie im Sternzeichen Skorpion geboren war. Nur weil sie als Aszendenten den Löwen hatte. Nur weil irgendjemand einen derartigen Hass auf alle Frauen mit dieser Konstellation hegte, dass sie für ihn einzig tot etwas wert waren. Dass er das Gefühl hatte, sie zertreten zu müssen wie lästige Kakerlaken. Aus welchem Grund auch immer.
»Wo?«, fragte van Dyck mit tonloser Stimme, den Blick starr auf die Kommissarin gerichtet. Seine Hände zitterten, seine Mundwinkel bebten. »Und was heißt leider?«
»Im Holzhausenpark. Sie ist tot. Es tut mir Leid.«
Claudia van Dyck stand auf, ging wortlos an die Bar, schenkte sich einen Cognac ein, schüttete ihn in einem Zug runter, schenkte nach und trank das Glas genauso schnell leer. Sie senkte den Kopf, fing an zu schluchzen.
Peter van Dyck hingegen saß regungslos wie eine Mumie in seinem Sessel, seine Augen füllten sich mit Tränen, die langsam an den Wangen hinunterliefen.
»Tot? Meine kleine Prinzessin soll tot sein? Sagen Sie, dass das nicht wahr ist! Bitte.« Seine Stimme zitterte.
»Ich wünschte, ich könnte Ihnen eine bessere Nachricht überbringen.«
Van Dyck versuchte die Fassung zu bewahren, es gelang ihm nicht. Sein ganzer Körper bebte unter der Last, die ihn zu erdrücken schien. »Mein Gott, Maria! Wo bist du bloß gewesen? Und warum hast du nicht Bescheid gesagt?« Er sah durch den Schleier seiner Tränen die Beamten an, erhob sich müde und schwerfällig und ging zur Bar. »Möchten Sie auch etwas trinken?«
»Nein danke.«
Er trat zu seiner Frau, die den Kopf hob und ihn mit roten Augen anschaute. Plötzlich fasste sie ihn bei der Hand und drückte sich an ihn. »Warum Maria?«, fragte sie mit stockender Stimme. »Warum ausgerechnet sie?«
»Keine Ahnung«, erwiderte er und löste sich aus ihrer Umklammerung. »Es wird schon einen Grund geben. Alles hat einen Grund.« Sein Ton war schroff und abweisend.
Er trank ein Glas Whiskey, kam auf die Beamten zu und setzte sich wieder. »Wie ist sie gestorben? Wie … Frau Kassner?« Er sagte diesmal nicht Judith wie am Dienstag.
Julia Durant nickte. »Wie Frau Kassner. Sie ist das Opfer ein und desselben Serientäters geworden.«
»Können wir sie sehen?«
»Nein, noch nicht. Sie ist gerade in der Rechtsmedizin …«
»Heißt das, sie wird aufgeschnitten?«, fragte van Dyck entsetzt.
»Nein, die Todesursache steht bereits fest. Es wird ihr nur etwas Blut abgenommen und ein Bericht angefertigt. Das ist alles. Sie können Sie bestimmt in zwei, drei Tagen sehen.«
»Danke. Ich wünschte, ich würde vor Ihnen dieses Schwein kriegen! Ich würde ihn tagelang foltern und so lange quälen, bis er nur noch um den erlösenden Tod winselt. Aber diesen Gefallen würde ich ihm nicht tun«, sagte er mit entschlossener Miene.
»Herr van Dyck, haben Sie schon vom Tod von Herrn Lewell gehört?«
Van Dyck neigte den Kopf ein wenig zur Seite. »Was, Lewell ist auch tot? Was ist passiert?«
»Er wurde in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag in seiner Wohnung erschossen. Wie gut waren Sie mit ihm befreundet?«
»Überhaupt nicht. Ich konnte Lewell nicht ausstehen. Er war ein arroganter, selbstherrlicher Schnösel, mit dem ich nichts
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