Der Jäger
dringend in die Stadt, etwas erledigen.« – »Einkaufen?« – »Nichts Besonderes, ich habda nur ein Kleid gesehen …« – »Wann wirst du wieder zurück sein?« – »Keine Ahnung, vielleicht treffe ich mich noch mit einer Freundin.« So und ähnlich spielten sich viele Unterhaltungen ab, morgens, mittags, abends. Ihr Leben bestand, soweit er bis jetzt herausgefunden hatte, aus nichts als sich schön zu machen, einzukaufen und Sex. »Ist das nicht ein herrliches Wetter? Ich hätte richtig Lust, nach Mailand zu fliegen.« Sich mit ihr zu unterhalten war langweilig, nichts sagend, öde. Mit ihr zu schlafen hingegen geradezu göttlich, zumindest solange sie ihn nicht überforderte. Nur, es reichte ihm nicht, es fehlte etwas, das ihm schon in seinen drei Ehen zuvor gefehlt hatte. Manchmal fragte er sich, ob er vielleicht zu anspruchsvoll war, ob er seine Partnerinnen intellektuell überforderte, doch seit er Viola Kleiber kennen gelernt hatte, wusste er, es gab doch Frauen, die ihn herausforderten, die ihm ebenbürtig waren und nicht bedingungslos nach seiner Pfeife tanzten, sondern ihre eigenen Regeln aufgestellt hatten. Er hatte viele Frauen gehabt, aber noch nie eine wie Viola Kleiber. Unerreichbar. Er hatte keine Ahnung, wie lange seine Ehe mit Susanne halten würde, aber es würde mit Sicherheit nicht für den Rest seines Lebens sein. Wenn er Susanne mit Viola Kleiber verglich, dann entdeckte er Welten, Universen, die zwischen beiden lagen, und schon seit dem ersten Mal, als er Viola Kleiber auf diesem Empfang bei seinem Freund, dem Filmproduzenten Peter van Dyck, anlässlich der Premiere von dessen neuem Film vor etwas über zwei Jahren gesehen hatte, fühlte er sich zu ihr hingezogen. Danach waren sie sich noch einige Male auf anderen Festen und Empfängen begegnet, sie immer in Begleitung ihres Mannes, des großen und berühmten Bestsellerautors Max Kleiber, er selbst begleitet von seiner Frau Susanne. Und dann war eine fast unendlich lange Zeit vergangen, bis sie, wie aus dem Nichts aufgetaucht, vor ihm gestanden und ihn gefragt hatte, ob sie zu ihm in Therapie kommen könne. Er hatte sofort zugestimmt, eine Frau wie sie wies er nicht ab. Eswar anders als bei den Frauen, mit denen er zuvor zusammen gewesen war, er konnte sich vorstellen – war es ihre mystische, unnahbare Ausstrahlung in Kombination mit ihrem faszinierenden Körper? –, bis zu seinem Tod mit ihr zusammenzuleben. Das Pech war nur, sie war verheiratet, und auch wenn sie den Anschein erweckte, unglücklich oder zumindest etwas unzufrieden zu sein, so nahm er ihr dies nicht ab. Im Gegenteil, er hatte von Mal zu Mal mehr das Gefühl, als würde sie mit ihm spielen. Aber es war kein gewöhnliches Spiel, er wusste, sie verschwieg ihm etwas ganz Wesentliches aus ihrem Leben, er wusste, es gab etwas, das sie belastete, das sie womöglich verdrängt hatte. Was er nicht wusste, war, wie er dieses Geheimnis entschlüsseln konnte. Und wenn er es entschlüsselt hatte, was dann? Würde er sie dann in einem völlig anderen Licht sehen, wäre das Mystische, Unnahbare mit einem Mal dahin, fortgeweht von einem stürmischen Wind, und bliebe nichts übrig als eine ganz normale Frau, mit ganz normalen Stärken und Schwächen? Wollte er dieses Geheimnis überhaupt entschlüsseln?
Und warum hatte sie ihn gefragt, ob er an Astrologie glaube? Und warum hatte er Nein gesagt? Er schenkte sich noch einen Cognac ein und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Er schalt sich einen Narren, einer Frau hinterherzuträumen, die für ihn so unerreichbar wie ein Lichtjahre entfernter Stern war.
Das Telefon klingelte. Eine weibliche Stimme meldete sich am andern Ende.
»Hallo, hier ist Jeanette. Was machst du gerade?«
»Jeanette! Schön, mal wieder was von dir zu hören. Hm, eigentlich nichts weiter«, antwortete er. »Und Susanne ist auch nicht da. Und du?«
»Wir drehen gerade in Frankfurt, aber ich habe heute frei. Und mir ist langweilig. Und außerdem machen mich diese kühlen Oktobertage richtig depressiv«, sagte sie mit ihrem warmen, umwerfenden Lachen, und er meinte ihr Gesicht direkt vor seinemzu sehen. »Und du willst doch nicht, dass ich in Depressionen verfalle, oder?«
»Nein, Jeanette, das kann ich unter keinen Umständen zulassen. Willst du herkommen?«
»Ich zu dir? Was, wenn deine Frau zurückkehrt?«
»Sie ist nach Düsseldorf gefahren und ist mit Sicherheit nicht vor heute Nacht zurück.«
»In Ordnung, ich bin so in einer halben Stunde bei dir.
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