Der Jäger
Gewerbe nach …«
Camilla Faun lachte bitter auf. »Sie muss sehr gut gewesen sein, o ja, sie muss verdammt gut gewesen sein! Judith, mein Gott! Ich hätte alles von ihr erwartet, nur das nicht. Sie hat einfach mit fremden Männern geschlafen! Und ich habe mich immer gewundert, warum sie keinen Freund hat. Jetzt weiß ich es, sie brauchte keinen. Den Sex bekam sie von anderen, und Liebe wollte sie offensichtlich nicht.« Mit einem Mal lächelte sie sanft und fuhr fort: »Wissen Sie, Frau Durant, ein paar Mal habe ich mir Gedanken über Judith gemacht. Und ein paar Mal kam sie mir vor wie ein Vogel, der einfach nur frei sein wollte. Sie wollte keine Bindungen eingehen, sie wollte sich nicht herumkommandieren lassen, und wenn ich es rückblickend betrachte, hat sie es sogar einmal gesagt. Es war im letzten Winter, wir hatten es uns gemütlich gemacht, schöne Musik aufgelegt, eine Duftkerze angezündet, da haben wir uns über unser Leben unterhalten. Wir haben einen ganzen Abend und die ganze Nacht hindurch über alles Mögliche gesprochen. Über das Leben und den Tod, ob es einen Gottgibt, ein Leben nach dem Tod, warum Menschen sich bekriegen, warum es so wenig Gerechtigkeit auf der Welt gibt. Es war das erste und auch einzige Mal, dass wir so intensiv über uns gesprochen haben. Ich erinnere mich noch genau, wie sie gesagt hat, und ich spüre noch heute ihre Hand auf meiner, sollte ihr jemals etwas zustoßen, dann …« Sie stockte, wischte sich verlegen übers Gesicht.
»Was dann?«, hakte Julia Durant nach.
»Nichts weiter, es ist unwichtig. Damals habe ich zum Beispiel erfahren, dass sie ihren Vater nie zu Gesicht bekommen hat, und sie hat mir auch von ihrer Mutter erzählt, die angeblich mit einem reichen Bankier verheiratet ist, aber ich glaube jetzt, das war alles nur erfunden. Vielleicht existiert diese Mutter gar nicht. Im Augenblick weiß ich überhaupt nicht, was ich noch glauben soll. Und doch, Judith war die beste Freundin, die ich jemals hatte. Sie hat mir so viel geholfen, sie war einfach da, wenn ich sie brauchte. Und jetzt, was soll jetzt werden? Ich meine, ich will nicht jammern, es ist schlimm genug, dass Judith tot ist, nur, ich glaube kaum, dass ich jemals wieder eine Freundin wie sie finden werde.« Sie machte eine Pause, drückte ihre Zigarette aus und lehnte sich zurück. Sie schlug die Beine übereinander und legte den Kopf in den Nacken.
»Was werden Sie jetzt machen?«, fragte die Kommissarin.
Camilla Faun zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Ich werde mir wohl oder übel eine neue Bleibe suchen müssen. Ich könnte zwar wieder zu meiner Mutter ziehen, aber dann könnte ich nicht mehr in Frankfurt studieren. Und meine Mutter hat auch nicht so viel Geld, um mir eine Wohnung zu finanzieren. Ich bekomme Bafög, verdiene etwas nebenbei durch Musikunterricht, und dann und wann steckt mir meine Mutter ein paar Mark zu. Aber es würde trotz allem nicht reichen, um diese Wohnung zu halten. Dabei fühle ich mich hier so wohl.«
Julia Durant dachte an den Schmuck und ein möglicherweiseprall gefülltes Konto, das Judith Kassner gehabt haben könnte. Und wenn tatsächlich weder ein Vater noch eine Mutter oder irgendwelche Geschwister existierten …
»Vielleicht gibt es eine Lösung für Ihr Problem«, meinte die Kommissarin nach einem Moment des Überlegens. »Hat Frau Kassner Geschwister?«
»Nein. Sie hat immer gesagt, sie sei ein Einzelkind. Sie hat immer nur von ihrer Mutter gesprochen.«
»Lassen Sie den Kopf nicht hängen, es wird bestimmt eine Möglichkeit geben, diese Wohnung zu behalten. Wenn nicht anders, lassen wir mal fünf gerade sein.«
»Was meinen Sie damit?«
»Warten Sie’s ab.«
Es ist gegen das Gesetz, dachte sie, du darfst das nicht tun. Julia Durant erhob sich, ging in das Zimmer von Judith Kassner, zog die oberste Schublade der Frisierkommode heraus und sah den Schmuck vor sich. Sie nahm das Collier in die Hand und zwei Armbänder und kehrte zu Camilla Faun zurück.
»Passen Sie auf, Frau Faun. Ich werde Ihnen helfen. Frau Kassner hat eine Menge Schmuck, den sie jetzt nicht mehr braucht. Ich habe hier in meinen Händen ein Collier und zwei Armbänder. Nehmen Sie sie, und verstecken Sie sie gut. Es könnte immerhin sein, dass noch einmal ein paar Kollegen von mir hier auftauchen und die Wohnung durchsuchen. Dieses Collier und die Armbänder sind eine Menge Geld wert. Das ist die Hilfe, die ich Ihnen anbieten kann. Und ich könnte mir vorstellen, dass Ihre Freundin
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