Der Jäger
sich zu ihm auf die Couch, streichelte über seinen Kopf. »Eine Menge. Du weißt, ich liebe dich. Ich liebe dich mehr als alles auf der Welt. Und es ist mir egal, ob du …« Sie stockte und sah ihn liebevoll an.
»Ob was? Unser Leben ist verfahren, sieh es doch endlich ein. Ich liebe dich auch, aber manchmal erscheinst du mir wie eine Fata Morgana, der ich wie ein Verdurstender vergeblich hinterherrenne. Etwas ist kaputtgegangen, aber was?«
»Es ist nichts kaputtgegangen. Gar nichts. Es hat ein paar Scherben gegeben, mehr aber auch nicht. Und wir sind erwachsene Menschen, wir können doch über alles reden.«
»Es ist vorbei. Es wäre besser, du würdest dir einen anderen Mann suchen, einen, der dir all das gibt, das ich dir nicht geben kann. Du bist noch jung, du bist schön, du bist nicht dumm, dein Charisma … Ich dagegen bin ein Nichts. Und ich werde dich nie wirklich glücklich machen.«
»Du machst mich glücklich mit jedem Tag, an dem ich dich sehe. Wenn ich morgens aufwache, und du liegst neben mir, dann bin ich glücklich. Liebst du mich denn nicht mehr?«, fragte sie.
»Es zerreißt mir das Herz, so sehr liebe ich dich. Glaub es mir.
Mehr als alles auf der Welt. Und weil ich dich so liebe, will ich, dass du glücklich bist …«
»Aber ich kann nur glücklich sein, wenn ich bei dir bin. Du bist der Mann, den ich immer wollte, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Und du weißt, ich werde niemals gehen, es sei denn, du setzt mich mit Gewalt vor die Tür. Wirst du das tun?«
Er schüttelte den Kopf, beugte sich nach vorn, seine Hände umkrampften das Glas. »Ich könnte es doch gar nicht«, sagte er leise und mit Tränen in den Augen. »Wie könnte ich dir jemals Gewalt antun? Du bist so wunderschön, doch ich bin ein alter Mann.«
»Alt? Du bist nicht alt. Alte Männer gehen an Krücken, alte Männer verlieren ihr Gedächtnis, alte Männer stinken, sind störrisch und benehmen sich doch wie Kinder. Du bist jung und du bist mein Mann.« Sie legte die Beine angewinkelt auf die Couch und trank einen Schluck von ihrem Scotch. »Ich habe heute jemanden kennen gelernt. Er hat gesagt, es gebe unter Umständen eine Möglichkeit …«
»Wen hast du kennen gelernt?«, fragte er.
»Er ist mir von einer Bekannten empfohlen worden. Er hat eine Privatklinik in der Nähe von München und gilt als eine der herausragenden Koryphäen auf seinem Gebiet. Ich habe ihm unseren Fall geschildert, und … Wir sollten es zumindest versuchen. Und wenn du sagst, dass es dir das Herz zerreißt, so glaub mir, bei mir ist es nicht anders. Versuchen wir es.«
»Und du meinst wirklich, es könnte klappen? Wir haben doch schon so viel probiert!«
»Ich habe die Hoffnung nie aufgegeben. Und du kannst dich auf den Kopf stellen und mit den Ohren wackeln, ich werde dich nicht verlassen. Eher bringe ich mich um. Du bist mein Mann, und du wirst es immer bleiben. Es wird nie einen anderen geben.«
Er stand auf, ging ans Fenster, eine Hand in der Hosentasche. Er sah hinaus in den Garten, der jetzt im Mondschein nur als Schemenzu erkennen war. Er hatte viel erreicht in seinem Leben, es gab viele, die ihn bewunderten, doch es gab kaum einen, der wusste, was sich in seinem Innern abspielte. Er war reich, angesehen, und doch fühlte er sich erbärmlich. Die ersten vier Jahre ihrer Ehe waren das Paradies auf Erden gewesen, sie waren das glücklichste Paar, bis zu jenem furchtbaren Tag, an dem sein und ihr Leben auf den Kopf gestellt wurden. Nein, er würde sie nicht verlassen und sie ihn nicht. Es würde weitergehen. Und wenn es wirklich helfen sollte, würde er sich auch in diese Klinik begeben. Das war er ihr schuldig.
Montag, 20.45 Uhr
Julia Durant parkte ihren Wagen in etwa dreißig Meter Entfernung zum Haus. Sie war müde und erschöpft, hatte Hunger und sehnte sich nach ihrer ruhigen Wohnung, einem heißen Bad und einer traumlosen, erholsamen Nacht. Im Briefkasten waren die Telefonrechnung, ein Umschlag von der Bank mit Kontoauszügen, ein Brief von ihrem Vater sowie die neueste Ausgabe des
Focus
. Sie steckte alles zusammen in die Tüte von der Tankstelle, begab sich mit langsamen Schritten nach oben, kickte die Tür mit dem Fuß zu, ging in die Küche und stellte die Tüte ab. Sie nahm eine Banane aus der Obstschüssel, aß sie im Stehen, zog die Jacke aus, hängte sie über einen Stuhl. Dann öffnete sie den Kühlschrank, holte Salami und ein Glas Gurken heraus, schnitt zwei Scheiben Brot ab, schmierte etwas
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