Der Jäger
lediglich Tagebücher von zwei Opfern, die von dem einen habe ich mir gestern Abend angeschaut, die anderen werde ich heute Abend durchsehen. Was glauben Sie, wann können wir mit einem ersten Ergebnis Ihrer Auswertungen rechnen?«
Richter zuckte die Schultern, zündete sich erneut eine Zigarette an und antwortete: »Das kommt auf den Umfang an. Aber wenn es sich um vier Morde handelt, muss ich die Fotos und die Berichte sehr genau studieren. Sagen wir am Donnerstag, aber versprechen kann ich nichts.«
»Da können wir nur hoffen, dass bis dahin nichts weiter passiert.«
»In welchem zeitlichen Abstand hat er letztes Jahr gemordet?«, fragte Richter.
»Gut zwei Wochen.«
»Und diesmal innerhalb eines Wochenendes«, meinte er nachdenklich. »Das bedeutet, er ist heißgelaufen.«
»Nein, nicht innerhalb eines Wochenendes«, berichtigte ihn Durant, »innerhalb weniger Stunden.«
»Puh, das ist hart. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass er gleich wieder aufhört. Bei ihm ist etwas außer Kontrolle geraten. Er
kann
nicht mehr aufhören. Es könnte sein, dass er einen Plan hat, den er jetzt mit aller Konsequenz durchzieht. Es könnte aber auch sein, dass er sich seine Opfer wahllos aussucht, was natürlich die Suche erheblich erschweren würde. Aber eigentlich haben wir es hier, wie es aussieht, mit dem typischen Verhaltensmuster von Serientätern zu tun. Die meisten töten anfangs nur inunregelmäßigen Abständen, weshalb es schwierig ist, ihre Spur zu verfolgen. Später aber werden die Abstände immer kürzer, sie steigern sich in einen wahren Blutrausch. Dazu kommt, dass, hat man erst mal einen Mord begangen, das heißt, hat man die Hemmschwelle erst einmal überwunden, einen Menschen zu töten, der zweite Mord keine große Sache mehr ist. Der Täter quält sich nicht mehr mit Gewissensbissen wie beim ersten und unter Umständen auch beim zweiten Mal, er tötet einfach weiter, das Gewissen ist quasi ausgeschaltet. Es ist wie ein Lichtschalter, den man drückt, um das Licht auszuknipsen. Und wenn es stimmt, dass er seine letzten beiden Opfer innerhalb weniger Stunden getötet hat, dann gibt es für ihn kein Halten mehr. Die Tür, hinter der sein Gewissen liegt, seine Achtung vor dem menschlichen Leben, ist zu. Er hat die Tür abgeschlossen und den Schlüssel weggeworfen. Die Kriminalgeschichte zeigt immer wieder, dass gerade bei Serientätern irgendwann eine regelrechte Lust am Töten kommt. Manche erheben das Morden sogar zu einer Kunst, zu ihrer ganz eigenen Kunst. Das Opfer ist in solchen Fällen nur ein Mittel zum Zweck, wie ein Stein, der von einem Bildhauer bearbeitet wird. Der Täter sieht nicht mehr den Menschen vor sich, sondern eine Sache. Er will beachtet werden, auffallen, sich von der Masse abheben, und zelebriert dann seine Morde. Es ist eine Art Wahnvorstellung, aber leider keine, die geheilt werden kann. Doch was rede ich da, ich kenne die Details ja noch nicht einmal.« Er hielt inne und sah die beiden Kommissare an. Julia Durant lächelte und nickte.
»Das mit der Kunst könnte zutreffen. Wir haben es auf jeden Fall mit einer sehr außergewöhnlichen Persönlichkeit zu tun. Vermutlich sehr intelligent, einfühlsam, charmant, kontaktfreudig …«
»Und woher nehmen Sie diese Vermutung?«
»Aus den Tagebüchern von Erika Müller, einem der Opfer vom letzten Wochenende. Sie wurde in der Nacht von Sonntag auf Montag im Grüneburgpark gefunden. In diesem Tagebuch gibtes Hinweise auf den Täter, den sie aber leider nur mit dem Kürzel I. benannt hat. So kennen wir nicht einmal seinen Vornamen.«
»Könnten Sie mir diese Tagebücher ebenfalls zur Verfügung stellen?«, fragte Richter.
Durant zögerte einen Augenblick, schließlich sagte sie: »Ich kann Ihnen höchstens Kopien machen lassen, ich brauche diese Bücher selbst noch.«
»In Ordnung, ist auch nicht so wichtig. Gibt es sonst noch etwas, das ich für Sie tun kann?«
»Nein, im Augenblick nicht. Und sobald Sie fertig sind, rufen Sie bitte an. Wir müssen zumindest den Kreis der potenziellen Täter einengen. Ich denke, Sie werden die Unterlagen noch am Nachmittag bekommen.«
Die Kommissare erhoben sich, Julia Durant reichte Richter die Hand. »Schon mal vorab vielen Dank für Ihre Mühe.«
»Ich hoffe, es lohnt sich für Sie«, sagte er. »Wie alt waren eigentlich die Opfer?«
»Zwischen zweiundzwanzig und sechsunddreißig. Aber das werden Sie nachher alles selbst lesen können. Auf Wiedersehen.«
Richter begleitete Durant und Hellmer
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