Der Jäger
vergangenen Samstag. Sie hatte Geburtstag, wir haben uns in der Stadt getroffen, etwas gegessen und sind danach zu ihr gefahren. Ich habe ihr eine Reise nach Südafrika geschenkt, weil sie schon immer mal dorthin wollte. Gegen fünf bin ich wieder nach Hause gefahren, da sie am Abend eine kleine Feier in ihrer eigentlichen, offiziellen Wohnung hatte.«
»Sie sind mit ihr also in die Kelsterbacher Straße gefahren?«
»Ja. Wir haben uns immer dort getroffen.«
»Das heißt, Sie haben mit ihr geschlafen …«
Kleiber schüttelte den Kopf, versuchte zu lächeln, doch sein Blick war ernst und traurig. »Nein, wir haben
nicht
miteinander geschlafen. Ich habe
nie
mit Judith geschlafen.«
»Bitte?«, fragte Durant ungläubig. »Sie haben
nicht
mit ihr geschlafen?«
»Nein, auch wenn Sie das nicht glauben wollen. Sie war eine gute Freundin, und Sie mögen das für absurd halten, aber es gibt tatsächlich so etwas wie Freundschaften zwischen Männern und Frauen. Es muss nicht immer Sex im Spiel sein. Wir waren gute Freunde, sehr, sehr gute Freunde. Es tut mir körperlich weh zu hören, dass sie nicht mehr lebt. Sie können das nicht nachempfinden, aber sie war für mich etwas ganz Besonderes …«
»Sie haben eine wunderschöne Frau«, warf Durant ein.
Kleiber verzog den Mund zu einem verkrampften Lächeln und sah aus dem Fenster. »Ich weiß«, sagte er mit versonnenem Blick und ein paar Tränen in den Augen, die er vor den Kommissaren verbarg. Er stockte, rang um Fassung, fing sich schließlich wieder. »Und ich liebe meine Frau über alles, sie ist das Kostbarste in meinem Leben. Aber Judith war wie ein funkelnder Diamant, sie war, wie soll ich es nur ausdrücken, sie war meine Muse und meine Inspiration. Mit ihr konnte ich mich über alles, wirklich alles unterhalten. Sie war nicht nur schön, sie war auch klug. Und was all die anderen nicht gesehen haben, weil sie blind waren, geblendet von ihrem Äußeren, war ihre innere Schönheit. Ja, sie war klug, ich möchte sogar behaupten weise. Was nicht heißen soll, dass meine Frau nicht klug wäre, ganz im Gegenteil, aber Judith war einfach außergewöhnlich. Sie hätten sie kennen müssen. Es ist schwer, in Worten eine Frau zu beschreiben, die mit Worten gar nicht zu beschreiben ist. Schön, attraktiv, charmant, freundlich, offen, intelligent und gesegnet mit einem Charisma, das nicht von dieser Welt war. Gut, sie hat ihren Körper verkauft, und ich habe auch verstanden, warum sie es getan hat. Sie hat ihn verkauft, weil sie andere Männer an ihrer inneren und äußeren Schönheit teilhaben lassen wollte. Ich vermute es zumindest. Allerdings hat sie mir ein paar Mal versichert, dass sie mit vielen ihrer Kunden gar keinen Sex habe. Etliche von ihnen haben einfach nur ihre Nähe gesucht, konnten sich bei ihr aussprechen, weil sie in ihrem Leben keinen Sinn mehr sahen oder weil sie …« Er räusperte sich und blickte zur Seite.
»Oder weil sie was?«, fragte Julia Durant.
»Nun, es gab nicht wenige, die nicht mehr konnten, wenn Sie verstehen.«
»Nicht ganz«, erwiderte die Kommissarin stirnrunzelnd.
»Die meisten ihrer Kunden waren zwischen vierzig und über sechzig, und unter denen befanden sich einige, die impotent sind.Was immer sie sich von Judith erhofft haben, Wunder konnte sie keine vollbringen. Sie konnte höchstens Verständnis zeigen, was ja oftmals auch schon eine Hilfe ist. Und selbst dafür haben sie bezahlt.« Er hielt inne, lächelte für die Kommissare nicht sichtbar und fuhr fort: »Sie hatte etwas, das ich noch nie bei einer anderen Frau gefunden habe. Und das, ohne jemals mit ihr geschlafen zu haben.« Mit einem Mal bekam seine Stimme einen merkwürdigen Unterton. »Sie hat mich ein paar Mal gestreichelt, ihre Hände haben mich berührt, aber es hatte nichts mit sexuellem Verlangen zu tun, sie wollte mich einfach nur berühren. Und ich habe sie berührt, ihre Hände, ihr Gesicht, ihre Haare. Ich habe sie gerochen, ihren Duft in mich gesaugt … Sie hat mir etwas gegeben, das mir noch keine andere Frau bisher geben konnte. Von Viola, meiner Frau, bekomme ich alles, was zu geben sie imstande ist. Aber Judith hat mir mehr, oder besser gesagt, hat mir etwas anderes gegeben. Doch wahrscheinlich werde ich nie ganz herausfinden, was es denn wirklich war. Die Welt, meine Welt, ist jetzt, nachdem Sie mir das von Judith gesagt haben, ein ganzes Stück trostloser geworden. Aber das werde ich erst nach und nach merken. Im Augenblick bin ich nur schockiert
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