Der Jäger
und von der möglichen Spur, die sich bei einer Befragung von Konrad Lewell und Alexander Maibaum ergeben könnte. Sie nahm den Hörer von der Gabel und wählte die Nummer von Lewell. Nur sein Anrufbeantworter meldete sich. Sie legte wieder auf, ohne eine Nachricht zu hinterlassen.
»Dann versuchen wir’s eben morgen noch einmal«, sagte sie nur. »Aber das mit der Kassner ist ein Ding. Sie muss ein wahres Superweib gewesen sein, eine, wie man sie höchstens in einer antiken Sage findet. Toller Körper, toller Geist, alles, was ein Männerherz begehrt.« Sie hielt inne und sah Berger an. »Was ist eigentlich mit Müller? Ist er wieder aufgetaucht?«
Kopfschütteln. »Bis jetzt nicht.«
»Bitte? Wo ist der Mistkerl abgeblieben? Man haut doch nicht einfach so mir nichts, dir nichts mit zwei Kindern ab, ohne eine Spur zu hinterlassen! Der muss doch seine Kinder versorgen. Sind alle Hotels und Pensionen überprüft worden? Lasst von mir aus eine Suchmeldung über das Radio rausgehen, aber er muss gefunden werden.« Kaum hatte sie den Satz zu Ende gebracht, als ein uniformierter Beamter aus der Einsatzzentrale ohne anzuklopfen ins Zimmer trat. Er reichte Berger wortlos ein Blatt Papier. Berger las stumm, gab das Blatt an Durant weiter.
»Scheiße, große, gottverdammte Scheiße!«, quetschte sie durch die Zähne und knüllte den Zettel zusammen. »Warum hat dieses Arschloch das gemacht? Und wo sind seine Kinder?«
»Was ist los?«, fragte Hellmer besorgt.
»Sein Wagen ist in der Nähe von Friedrichsdorf in einem Waldstück gefunden worden. Er hat sich mit Auspuffgasen umgebracht.« Sie setzte sich, fuhr sich über die Stirn und hielt den Kopf gesenkt. »Warum um alles in der Welt hat er das gemacht? War er nicht mehr zurechnungsfähig? Oder was war es sonst?«
»Wir werden es herausfinden«, versuchte Berger sie zu beruhigen. »Lassen Sie den Kopf nicht hängen, Sie können nichts dafür.«
»Doch! Ich hätte gestern dableiben müssen, bis einer vom Jugendamt gekommen wäre. Ein Arzt hätte geholt werden müssen, um ihn in eine Klinik einzuweisen. Der Mann ist offenbar völlig durchgedreht, und wir haben das nicht gemerkt. Wir haben nur gedacht, er wäre besoffen. Hoffentlich ist den Kindern nichts passiert. Dieser verdammte Suff!«
Sie stand wieder auf, zündete sich eine Gauloise an, ging ans Fenster. Der Himmel war jetzt fast schwarz, die Autos zogen sich wie ein Lindwurm über die Mainzer Landstraße Richtung Innenstadt.
»Seine Tochter heißt Julia. Eine süße Kleine. Vier Jahre alt. Und ihr Bruder ist gerade mal sechs. Warum hat er das getan? Warum? Hat er einen Abschiedsbrief hinterlassen?«, fragte sie den Beamten.
»Die Kollegen aus Bad Homburg haben sich drum gekümmert und uns nur mitgeteilt, dass sein Wagen gefunden wurde«, antwortete er.
»Ruf mal einer dort an. Vielleicht hat er ja … Was treibt einen Menschen dazu, so etwas zu tun?«
»Verzweiflung. Er hat keinen Ausweg mehr gesehen. Vielleicht ist ihm, als er erfahren hat, dass seine Frau umgebracht wurde, klar geworden, dass er seinen Kindern nie ein guter Vater sein würde oder könnte, weil er Alkoholiker war. Vielleicht ist ihm auch klar geworden, dass er seiner Sucht nicht gewachsen war. Aber möglicherweise gibt es auch einen völlig anderen Grund«, sagte Hellmer und stellte sich neben Durant. »Wir dürfen uns jetzt nicht auf ihn konzentrieren, das weißt du. Wir können ihn nicht wieder lebendig machen. Es ist eine Tragödie, aber nicht mehr zu ändern.«
»Ja, es ist eine verdammte Tragödie, die jedoch zu verhinderngewesen wäre.« Sie rauchte hastig und drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. Sie fühlte sich leer und ausgelaugt wie lange nicht mehr. »Kann mir mal einer einen Kaffee holen?«
Christine Güttler kam ins Zimmer und berichtete: »Ich habe bei den Kollegen in Bad Homburg angerufen. Er hat einen Abschiedsbrief hinterlassen. Sie faxen ihn gleich durch.«
»Danke«, sagte Berger. »Ich denke, wir machen für heute Schluss. Schlafen Sie sich aus, damit wir morgen wieder mit voller Kraft ans Werk gehen können.«
Durant schüttelte den Kopf. »Ich bleibe noch hier. Ich habe das Gefühl, wir haben etwas übersehen. Ich muss mir noch einmal in aller Ruhe die Fotos anschauen und im Tagebuch der Albertz lesen.«
»Das können Sie doch auch morgen noch machen.«
»Ich will es heute tun, okay?! Der Tag war beschissen genug, da kommt es auf ein bisschen Scheiße mehr oder weniger auch nicht mehr an«, sagte sie in
Weitere Kostenlose Bücher