Der Jäger
einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. »Ihr könnt alle nach Hause gehen, wir sehen uns morgen.«
Das Faxgerät sprang an. Der Abschiedsbrief von Müller.
Ich kann nicht mehr. Ich habe meine Frau verloren und meine Kinder ihre Mutter. Ich kann ohne Erika nicht leben, ich habe sie zu sehr geliebt. Aber ich habe sie auch bitter enttäuscht. Es tut mir Leid, aber ich kann nicht anders. Ich vermisse Erika zu sehr. Und Thomas und Julia sind noch jung genug, um von anderen Eltern großgezogen zu werden. Sie sind in der Pension Mahler in Friedberg.
Julia Durant atmete erleichtert auf, sie legte das Fax wortlos auf den Tisch, damit alle es lesen konnten, und zündete sich eine Gauloise an.
Hellmer blieb bei ihr, bis alle, einschließlich Berger, gegangen waren. »Du bist manchmal verdammt stur, weißt du das? Du bist wütend, okay. Das mit Müller geht dir an die Nieren, auch okay. Aber lass dir jetzt um Himmels willen nicht den Blick vernebeln. Wir müssen ein paar Morde aufklären, und das geht nur, wenn wir klar im Kopf sind. Geh nach Hause, und lies das Tagebuch dort.«
»Nein! Aber wenn du mir unbedingt helfen willst, dann bleib hier«, sagte sie und sah Hellmer herausfordernd an. »Vergessen wir Müller. Seine Kinder werden gut untergebracht, dafür werde ich notfalls persönlich sorgen. Ruf Nadine an und sag ihr Bescheid, dass es noch später wird. Und dann gehen wir alles noch mal durch. Wir haben etwas übersehen, und zwar etwas, das wir bis jetzt nicht beachtet haben, weil wir möglicherweise keinen Zusammenhang erkennen konnten. Bist du dabei?«
Hellmer überlegte einen Moment, dann nickte er. »Einverstanden.« Ein Blick auf die Uhr, Viertel vor acht. »Aber nur unter einer Bedingung …«
»Und die wäre?«
»Wir verlassen spätestens um elf gemeinsam diese heiligen Hallen.«
»Versprochen. Also, die Fotos. Und zwar der Reihenfolge nach, das heißt, von Carola Weidmann, dem ersten Opfer, bis zur Kassner.«
»Was versprichst du dir davon? Die Fotos sind schon hundert Mal gesichtet worden …«
»Aber es wurde etwas übersehen, davon bin ich überzeugt.«
Julia Durant räumte ihren Schreibtisch leer und legte je zwei der am Fundort gemachten Fotos nebeneinander auf den Tisch. Sie stellte sich davor, sich mit einer Hand immer wieder übers Kinn streichend. Hellmer stand neben ihr. »Was suchst du eigentlich?«
»Wenn ich das wüsste, bräuchte ich die Fotos nicht«, murmeltesie gedankenversunken. »Die Leichen wurden alle in der gleichen Stellung aufgebahrt. Carola Weidmann wurde am 28.10.98 gegen zwei Uhr morgens umgebracht, Juliane Albertz am 13.11.98 etwa um 1.00 Uhr morgens, Erika Müller am 25.10. zwischen 0.45 Uhr und 1.00 Uhr, Judith Kassner am 25.10. gegen vier Uhr morgens. Am Sonntag war Vollmond … Nein, das scheidet aus. Es hat mit dem Mond nichts zu tun. Also keiner, der nur ausrastet, wenn Vollmond ist. Was dann? Hol doch mal die Akten der Opfer. Vielleicht finden wir anhand der Vita was.«
Hellmer sah Durant kopfschüttelnd an. »Wie willst du anhand der Vita und der Fotos einen Zusammenhang erkennen?«
»Hilfst du mir jetzt oder nicht? Du kannst gerne nach Hause gehen, ich schaffe das auch allein«, sagte sie spöttisch.
»Schon gut, schon gut, ich hol sie ja.«
»Lies mir vor, was über die Weidmann drin steht.«
»Carola Weidmann, geboren am 20.11.76 in Sydney. Seit 1977 in Frankfurt, Vater Bauunternehmer. Eine Boutique in der Goethestraße, verlobt …«
»Das reicht. Und jetzt die Albertz.«
»Juliane Albertz, geboren am 29.10.68 in Darmstadt. Geschieden, zehnjährige Tochter, lebte mit ihrer Mutter zusammen, Vater vor sechs Jahren verstorben. Finanzbeamtin, Einzelgängerin …«
»Jetzt die Müller.«
»Erika Müller, geboren am 1.11.63 in Flensburg. Verheiratet, zwei Kinder, Hausfrau, keine Eltern mehr …«
»Judith Kassner.«
»Judith Kassner, geboren am 23.10.74 in Frankfurt. Studentin, den Rest kennst du ja …«
»Gib mal her«, sagte Durant. Sie legte die aufgeschlagenen Akten neben die jeweiligen Fotos. »Etwas verbindet diese Frauen, auch wenn sie sich vielleicht nie über den Weg gelaufen sind, ich spüre es. Es gibt eine Verbindung … Aber welche? Was habensie gemeinsam, das den Täter veranlasst, sie umzubringen? Was?« Sie strich sich mit einer Hand durchs Haar, zündete sich eine Zigarette an, betrachtete die Fotos, las in den Akten. Sie holte sich, nervös und innerlich zum Zerreißen angespannt, einen Kaffee. Alles in ihr vibrierte, ihre
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