Der Jäger
Gedanken kreisten unaufhörlich wie ein nicht zu stoppendes Karussell in ihrem Kopf. »Was machen wir jetzt bloß?«
»Das kann ich dir sagen – ich habe Hunger. Und du hast seit dem Mittag auch nichts mehr gegessen. Ich bestell uns beiden eine Pizza. Mit knurrendem Magen kann ich nämlich nicht denken. Was nimmst du?«
»Egal, bestell für mich einfach mit«, sagte sie gedankenversunken.
Julia Durant ging um den Schreibtisch herum und setzte sich. Sie lehnte sich zurück, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Sie schloss die Augen und gähnte. Sie war müde, ausgehungert und erschöpft. Hellmer rief den Pizzaservice an und gab die Bestellung auf. Er setzte sich neben Durant, als das Telefon klingelte. Nadine.
»Hallo, ich bin’s, deine Frau, falls du das vergessen haben solltest …«
»O Scheiße, es tut mir Leid«, entschuldigte er sich. »Ich wollte dich anrufen und dir Bescheid sagen, dass es noch etwas später wird. Ich bin wahrscheinlich nicht vor elf, halb zwölf zu Hause. Nicht böse sein, bitte.«
Nadine Hellmer stöhnte auf. »Erst hab ich mich auf den Abend zu dritt gefreut, dann wenigstens auf ein kuscheliges Zusammensein mit dir, und jetzt …? Aber deine Arbeit geht natürlich vor. Dabei müsstest du diesen Knochenjob gar nicht machen …«
»Nadine, bitte, das haben wir doch schon tausendmal durchgekaut. Ich liebe meine Arbeit …«
»Elf?«, fragte sie mit säuselnder Stimme.
»Ich verspreche dir, nicht später als Viertel nach elf zu Hause zusein.« Und flüsternd fügte er hinzu: »Ich liebe dich. Bis nachher.«
Julia Durant tippte ihn an und grinste. »So, so, du sagst ihr, du liebst sie, und schaust geil fremden Röcken hinterher. Ihr Typen seid doch alle gleich!«
»Was hat das eine mit dem andern zu tun? Außerdem, Appetit darf ich mir doch woanders holen, solange ich zu Hause esse, oder?«, erwiderte er mit einem breiten Grinsen.
Julia Durant wechselte das Thema. »Weißt du eigentlich, wie froh ich bin, dass den Kindern nichts passiert ist? Ich glaube, ich hätte mir für den Rest meines Lebens Vorwürfe gemacht. Und sollte ich jemals wieder in eine solche Situation geraten wie gestern, dann bleibe ich da, bis jemand vom Jugendamt kommt. Oder ich nehme die Kinder selbst mit. Schlimm genug, dass er sich umgebracht hat …«
»Es ist vorbei. Und wer weiß, vielleicht ist es für die Kinder sogar das Beste. Sie sind noch klein genug, um sich in eine andere Familie einzufügen.«
Der Pförtner rief an und gab Bescheid, der Pizzaservice sei da. »Er soll hochkommen«, sagte Hellmer.
Hellmer bezahlte und zog noch zwei Cola aus dem Automaten.
Mit einem Mal fragte Hellmer, während er kaute und abwechselnd auf die Bilder und die Akten blickte: »Wann hast du noch mal Geburtstag?«
»Was?« Julia Durant sah ihn verwundert von der Seite an, während Hellmer ein weiteres Stück von seiner Pizza abbiss.
»Na, wann du Geburtstag hast? Du hast doch auch irgendwann im November, oder?«, nuschelte er mit vollem Mund.
»Am fünften, warum?«
»Nadine hat am ersten, genau wie die Müller. Ich kann mich auch irren, aber schau dir doch mal die Geburtsdaten unserer Opfer an. Und zwar in dieser Reihenfolge.« Er legte die Akten um – Kassner, Albertz, Müller und Weidmann.
Julia Durant verglich die Geburtsdaten, drei-, viermal ließ sie ihren Blick darüber gleiten, schließlich stammelte sie fassungslos: »23.10., 29.10., 1.11., 20.11 … Mein Gott!«, stieß sie hervor und fasste sich an den Kopf.
Sie sah Hellmer wie vom Schlag gerührt an, ließ das Stück Pizza auf den Teller sinken, wischte sich den Mund mit einem Taschentuch ab, zündete sich eine Zigarette an, warf erneut einen Blick auf die Zahlen und wiederholte sie mit stummen Lippenbewegungen. »Das darf nicht wahr sein. Die sind alle unter demselben Sternzeichen geboren – Skorpion! Frank, du hast es geschafft …« Sie stand auf, streckte sich und tigerte ruhelos im Raum auf und ab. Sie rauchte hastig, drückte die Zigarette aus, steckte sich eine neue an. Die Atmosphäre knisterte, Durants Nervosität war auch für Hellmer spürbar, es war, als hätte sie sich im ganzen Raum verteilt.
»Es kann auch Zufall sein«, bemerkte er vorsichtig.
»Nein, Frank, das ist kein Zufall. Skorpion, sie sind alle im Sternzeichen Skorpion geboren! Der Typ wählt seine Opfer nach dem Sternzeichen aus. Wieso ist uns das bloß nicht früher aufgefallen.«
»Wer hätte vor einem Jahr schon eine Verbindung sehen können zwischen der Albertz,
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