Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
ist es sogar so, daß ich dich vorgeschlagen habe.« »Weshalb?«
Raimund wandte sich wieder ab und sah zum Fenster hinaus. Er verschränkte die Arme über dem Oberkörper und seufzte.
»Die Freundschaft zu Giovanni ist nicht der einzige Grund«, gestand er schließlich. »Ich kannte Katharina, Radolfs Weib. Ich kannte sie besser als manch andere Frau, und ich ... Ich wußte weder, wen sie geheiratet hatte, noch war mir Radolfs Name bekannt, als ich ihn hörte. Ich wußte nicht einmal, daß sie sich in meiner Nähe befand, bis Giovanni mir die Sachlage erklärte und ihren Namen nannte. Vollkommen aus den Augen verloren; aus den Augen, aber niemals aus dem Herzen ... Nur durch ihren Tod zu erfahren, daß sie ein ganzes Leben lang lediglich zwei Tagesreisen entfernt lebte ...«, Raimund schüttelte den Kopf und schwieg.
»Es tut mir leid, Herr«, sagte Philipp betreten und fühlte sich so idiotisch wie jemand, der sich bei einem Schwerverletzten über einen Splitter in seinem Finger beklagt hat.
»Es war nicht Gottes Wille, daß aus uns ein Paar wurde«, sagte Raimund. »Es ist mir jedoch ein Trost zu hören, daß Radolf sie liebte – allen zynischen Worten Giovannis zum Trotz. Ich kann ihn sogar verstehen; ein Leben des öffentlichen Zölibats und der heimlichen Mätressen läßt einen Mann die Liebe sicher mit anderen Augen sehen ... Nun ist wenigstens die Gelegenheit da, Katharinas Mann und ihrer Tochter zu helfen. Und ich wollte, daß du derjenige bist, aus dessen Händen diese Hilfe kommt.«
»Ich werde mein Bestes tun, Herr.«
»Vielleicht denkst du, daß es einem Mann, der eine eigeneFamilie besaß und sie an den Tod verloren hat, nicht gut ansteht, der Erinnerung an eine Frau nachzuhängen, die nicht einmal die seine war. Ich jedoch bin dankbar für diese Erinnerung. Als meine Frau und meine Söhne noch lebten, war sie etwas, das meine Liebe zu meiner Familie noch vertiefte; und nachdem sie tot waren, hatte ich wenigstens eine gute Erinnerung, die ich der bösen entgegensetzen konnte.«
Philipp schwieg. Er fühlte sich unbehaglich, wenn jemand sein Herz vor ihm öffnete; und wenn es sein Herr war, zu dem er aufsah, fühlte er sich noch unbehaglicher als sonst. Raimund wandte sich endgültig von der Fensteröffnung ab und kam durch den kleinen Raum auf ihn zu. Er sah ihm ernst ins Gesicht.
»Ich möchte, daß du auf dich achtgibst, Philipp«, sagte er. »Ich habe dich zwar in die Geschichte verwickelt, aber ich will nicht, daß du an ihr Schaden nimmst.«
»Ich habe schon schwierigere Dinge gemeistert«, erklärte Philipp und rang sich ein breites Lächeln ab.
»Ich weiß, daß du deine Sache gut machen wirst; im Kloster gehörtest du zu den besten Schreibern und Kopisten. Ungeachtet dessen hatte Giovanni nicht ganz unrecht mit seinen Unkenrufen.« Er machte eine unbestimmte Handbewegung zum Fenster hinaus. »Die Sache scheint ihm zwar wichtig zu sein; wichtig genug, um dafür dem Konzil fernzubleiben, das der Papst seit gestern in Lyon einberufen hat. Aber dennoch wird er die Verantwortung nicht auf sich nehmen, wenn etwas schiefgeht.« »Mir ist klar, daß ich auf einem dünnen Ast sitze.«
»Ja. Und du weißt auch, was für dich auf dem Spiel stehen kann. Erinnere dich an den Gerichtsfall bei Graf Till letztes Jahr, bei dem es ebenfalls um die unrechtmäßigeAneignung von Besitztümern ging. Ich trug das rote Richtergewand, und du hast für mich geschrieben.«
»Ihr meint den Fall, bei dem ein Freisasse die Grenzmarkierung seines Nachbarn versetzt hatte.«
»Richtig. Wenn ein Mann sich das Land oder die Besitztümer eines anderen Mannes aneignet, der nicht zu seiner Herrschaft oder seiner Familie gehört, muß die öffentliche Ordnung angerufen werden: Der Fall kann nicht mehr in der eigenen Gerichtsbarkeit verbleiben. In der vorliegenden Geschichte ist es ebenso: Radolf will sich das durch Urkunden – ob sie nun gefälscht sind oder nicht – festgeschriebene Recht auf die Erzmine der Familie seiner Frau aneignen, und das überschreitet die Gerichtsbarkeit seines Lehnsherrn, also der Kirche – oder Giovanni da Uzzanos, wenn du so willst. Er kann weder ihn noch dich decken, selbst wenn er wollte.«
»Der Freisasse wurde lebendig begraben«, sagte Philipp mit trockenem Mund. »Und danach sein Herz mit dem Pflug entzweigeschnitten.«
»Ein durchaus gewöhnliches Urteil«, erwiderte Raimund. Er wandte sich ab und sah wieder zum Fenster hinaus. Philipp schickte sich an, den Raum zu verlassen, da
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