Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
bewiesen, daß kein Mensch auf Erden höher steht als er. Der Kaiser erhält seine Würde allein von Gott.«
Der Kardinal setzte zu einer Erwiderung an, doch Raimund kam ihm zuvor. Er klopfte scharf auf den Tisch und warf seinem Gefährten einen langen Blick zu. Dieser preßte die Lippen zusammen und sagte dann langsam: »Ich wollte Euch natürlich mit meinen Ausführungen nicht beleidigen, Exzellenz.«
»Vor allem wollen wir hier nicht den Streit zwischen dem Kaiser und dem Papst fortsetzen«, sagte Raimund deutlich. Giovanni da Uzzano legte ihm die Hand auf den Arm und lächelte wieder so entspannt wie eh und je. »Ich weiß, daß ihr Herren von den Geschichten um Karolus Magnus und seine Taten begeistert seid; das ist verzeihlich«, sagte er. »Seid jedoch versichert, daß sich viele Sagen um eine solche Person ranken, welche eher in den Bereich der Erfindung als der Überlieferung zu weisen sind; und daß andererseits vieles noch der Aufklärung harrt, was zu seinen Zeiten getan und gelassen wurde. Es sollte mich nicht wundern, wenn am Ende ein ganz anderer Mann dabei herauskäme.«
Die Gefährten Raimunds, durch dessen unzweideutige Worte gewarnt, zuckten nur mit den Schultern. Der Kardinal schien den Zwischenfall als unbedeutend abzutun. Er bat einen der Tischgenossen um das Messer und schnitt einem weiteren Fisch Kopf und Schwanzflossen ab. Während er das Fleisch vorsichtig von den Gräten schälte, fiel ihm eine Geschichte ein, in welcher die Kutte des seligenAbts des Klosters von Cluny, ein paar zu Scherzen aufgelegte Novizen und eine lebendige Bachforelle eine Rolle spielten. Als er sie mit seinem schweren Akzent und seiner davon ungeschmälerten Begabung für das Erzählen merkwürdiger Anekdoten beendet hatte, lachte selbst derjenige der Ritter, der sich die Diskussion mit ihm geliefert hatte. »Ich habe etwas Seltsames erlebt«, sagte Thomas in der danach entstehenden Gesprächspause zu Philipp. »Auf meiner Reise durch das Besitztum von Herrn Raimund bin ich auch in jenem Dorf gewesen, das im Norden direkt jenseits der Besitzgrenze auf dem Grund der Herren von Eller liegt. Ich wußte, daß der alte Mönch, den sie dort als Priester hatten, vor einiger Zeit verstorben war, und ich wollte nachsehen, ob sie geistlichen Beistands bedürften. Ich fand jedoch, daß dort ein neuer Priester saß, den der Bischof auf Bitte des Grafen eingesetzt hat.«
»Was ist daran seltsam?« erwiderte Philipp, der das Dorf flüchtig kannte. »Immerhin ist es eine größere Ansiedlung mit vielen Feldern drumherum. Sie haben dort eine eigene Kapelle; da können sie sich auch einen eigenen Priester halten.«
»Seltsam ist, was ich dort erlebt habe; es ist eine Geschichte, die mich beunruhigt und ...«
»Bruder Thomas«, rief Philipps Herr und machte ein amüsiertes Gesicht, als der Kaplan zusammenzuckte und herumfuhr, »was hast du da mit Philipp zu flüstern? Erzählst du ihm die Beichtgeheimnisse der Bauernmädchen?«
»Es ist leider keine Geschichte, bei der man lachen könnte«, entgegnete Thomas ernst. Philipp hob den Kopf. Hatte er den Worten bislang nur mit halben Ohr gelauscht, so horchte er nun auf. Er sah, wie Raimund die Augen zusammenkniff, der Kardinal, an dem die Worte des Kaplansvorbeigegangen sein mußten, beschäftigte sich hingegen mit den Resten seines Fischs und schien für kurze Zeit geistesabwesend.
»Ich habe eine Frau gesehen, die man für drei Tage und drei Nächte zum Pfahl verurteilt hat«, sagte Thomas langsam. Die Gefolgsmänner des Herrn blickten auf, während ihre Frauen keine große Neugierde an den Tag legten; sie zupften an ihren Gewändern herum und warteten darauf, daß sich das Gespräch wieder Dingen zuwenden würde, bei denen sie mitreden konnten.
»Wo?« fragte einer der Ritter scharf.
»Auf dem Besitz der Herren von Eller; beruhigt Euch, meine Herren, niemand hat Euch Eure Gerichtsbarkeit streitig gemacht.«
»Wenn das der Fall ist, dann weiß ich nicht, was du daran so bemerkenswert findest«, sagte Raimund.
»Es ist die Begründung für das Urteil. Im Regelfall ist der Schandpfahl die Strafe für üble Nachrede, Verleumdung der Nachbarn, böse Worte gegen den Herrn oder für Gotteslästerung«, erklärte der Kaplan. »In diesem Fall jedoch hängt das Urteil mit einem Gottesgericht zusammen, das von einem Priester einberufen wurde. Die Frau hat von einem durchziehenden Händler erzählt, der ihr angeblich von Geißlern im Land und vom nahen Kommen des Herrn berichtete.
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