Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
zu bringen. Dennoch schien es dem Kardinal zu munden. Er teilte seinen Becher freizügig mit Philipps Herrn und gab auch das Messer, das Philipp ausschließlich für ihn gedacht hatte, weiter. Er überbot Raimund in Erzählungen, welche Abenteuer sie auf dem Pilgerzug gemeistert hätten: die Seekrankheit, welche sie beide und fast das gesamte Heer auf der Überfahrt befiel und die den Kaiser so schlimm erwischte, daß er auf See wieder kehrtmachte und nach Hause fuhr (was ihm den Bannfluch des Papstes einbrachte); die Beschwerden am entgegengesetzten Körperende, welchen die Pilgerfahrer dann im Heiligen Land aufgrund des dortigen Essens ausgesetzt gewesen waren, während sie darauf warteten, daß der Kaiser genas und ihnen endlich nachfolgte; und nicht zuletzt die Nachstellungen der mannstollen Schönheiten, denen sie zu entkommen suchten (hier kreischten die Gattinnen der drei Ritter am lautesten). Kaplan Thomas, der an Philipps Seite am Herrentisch saß, hörte ihm lächelnd zu; schließlich wandte er sich an Philipp und sagte leise: »Ich habe noch selten einen Menschen gesehen, der so nervös war.«
»In der Stadt beginnen sie mit dem Schmuck des Doms«, erzählte eine der Gattinnen der Lehnsritter. »Der erste Pilgerstrom wird erwartet, der die Reliquien der Heiligen Drei Könige besuchen will. Werdet Ihr sie auch aufsuchen, Exzellenz?«
»Ich bedaure: eilige Geschäfte. Es ist eines der erhebendsten Erlebnisse, die Gebeine der drei Weisen zu sehen. Gesegnet die, welche das Glück haben.«
»Es kommt jedes Jahr zu Wunderheilungen«, sagte eine andere Dame mit wohligem Entzücken.
»Bei dem Reliquienreichtum, den die Kirchen der Stadt aufweisen, bin ich doch erstaunt, daß nirgendwo Überbleibsel von Kaiser Karl dem Großen enthalten sind«, konstatierte ihr Gatte. »Ich bin der Ansicht, man sollte etwas von ihm hier aufbewahren – Köln ist die größte Stadt in allen deutschen Herzogtümern und Karolus Magnus der größte Kaiser, der die Christenheit jemals führte.«
»Der größte Kaiser? Wer sagt denn so etwas?« fragte der Kardinal aufgeräumt.
»Man hört es allerorten. Am Hof des Kaisers wird wohl von nichts anderem gesprochen.« Der Ritter lächelte. »Nicht, daß ich selbst dort gewesen wäre.« Er erntete fröhliches Gelächter.
»Wer weiß, was alles in jenem Labyrinth dort unten in Apulien gesprochen wird, das der ...«, Giovanni da Uzzano machte eine deutliche Pause, »... Kaiser seinen Hof nennt.«
»Karl der Große ist sogar heiliggesprochen. Viele Menschen beten zu ihm.«
»Das ist er nicht«, erwiderte der Kardinal bestimmt. Alle Köpfe wandten sich ihm jetzt zu. Der Kardinal lächelte.
Raimund beobachtete die Szene mit undurchdringlichem Gesichtsausdruck.
»Kaiser Friedrich Rotbart hat ihn seinerzeit heiligsprechen lassen«, widersprach der Ritter, der das Gesprächsthema aufgebracht hatte. »Er hat einen Schrein anfertigen und die Gebeine umbetten lassen.«
»Und wer behauptet das nun wieder?«
»Ich kann Euch keinen Namen nennen«, erklärte der Ritter mit kaum verhohlener Ungeduld.
Der Kardinal schnaubte unwillig. Er überlegte einen Moment, dann setzte er sein Lächeln wieder auf und sagte: »Ihr wißt so gut wie ich, daß kein Kaiser einen Mann zum Heiligen machen kann; diese Macht besitzt einzig und allein der Papst in Rom!«
»Verzeiht, Exzellenz, aber es war ein Papst, der Karl heiliggesprochen hat.«
Der Kardinal lächelte noch immer, wie ein Vater auf seine Kinder herablächelt, die ihm eine intelligente Frage gestellt haben und dennoch vollkommen auf dem Holzweg sind. Er faltete gar die Hände.
»Ich will versuchen, die Geschichten, die überall herumerzählt werden, zu erläutern. Friedrich Rotbart hatte damals einen Papst eingesetzt, nachdem ihm der von Gott gesandte Stellvertreter Christi nicht mehr gefallen hatte. Ist das richtig?« Er wartete das Nicken der Gäste nicht ab, sondern fuhr fort: »Sollte es nun tatsächlich so sein, daß dieser Papst irgendeinen früheren Kaiser heiliggesprochen hat – was man bezweifeln darf, aber darüber will ich mich nicht auslassen -, sollte es also nun so sein, dann wäre die Heiligsprechung gleichwohl ungültig, da sie von einem Gegenpapst ausgesprochen wurde.«
»Karolus Magnus war nicht irgendein Kaiser«, sagte der Gesprächspartner des Kardinals. Sein Lächeln fiel entschieden angestrengter aus als das Giovanni da Uzzanos. »Er war der größte Führer der Christenheit. Er hat sich selbst zum Kaiser gekrönt und so
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