Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
legitimiert den Anspruch der Kirche auf die Ländereien des Kirchenstaats. Ein Teil der Unterlagen handelte davon. Ich fand sogar ein schwierig zu entzifferndes Dokument mit einer ganzen Girlande von Originalsiegeln.«
»Was für ein Glück, daß der große Karolus, vor dessen Erinnerung der halbe Hofstaat des Kaisers im Staub zu liegen scheint, ausgerechnet die Schenkungen von Kaiser Konstantin an die Kirche bestätigt. Da kann der Kaiser wohl nicht mehr hergehen und dem Papst die Rübenäcker streitig machen, die das Reich in zwei Teile zerschneiden – schade für ihn, sonst untermauert er ja fast jedes Wort, das er sagt, mit dem alten Franken.«
Johannes grinste freudlos und strich sich mit der Handüber das Kinn. Er sah aus, als wäre er mit seinen Neuigkeiten noch nicht am Ende.
»Was hast du noch gefunden?«
»Nichts Großartiges. Nur ein kleiner Satz in einem Brief, den ein Schreiber am Hof von Karolus verfaßt hat und in dem es um Anordnungen zu den Liedern geht, welche in der Messe zu singen seien. Sieh dir das an.«
Er blickte sich um, als ob er einen Beobachter fürchte, und zog dann ein dünnes Pergament aus der Kutte. Mit dem Finger wies er auf einen Absatz in dem in krausem Latein angefertigten Text. Philipp entzifferte ihn mühsam und blickte Johannes an.
»Wenn ich das richtig verstanden habe«, sagte er, »geht es hier darum, daß ein paar Lieder in der Messe auszutauschen seien, seit Karolus sich zum Kaiser gekrönt hat. Na und?«
»Es heißt: seit Karolus zum Kaiser gekrönt wurde. «
»Was willst du für eine Theorie auf diesem Schrieb aufbauen? Du hast doch gesehen, wie weit die Lateinkenntnisse unseres unbekannten, längst zu Staub gewordenen Schreibers waren. Lies nur das hier mal: ›Zusätzlich haben mußten alle lesbaren Laien im Reiche angewiesen sind, ihren Beitrag geleistet zu werden.‹ Was hältst du denn davon?«
»Mag sein, daß du recht hast. Aber es macht mich trotzdem stutzig. Ich werde sehen, ob ich noch weitere Hinweise dazu finde.«
»Paß nur auf, daß du Bruder Pios Ordnung dabei nicht durcheinander bringst.«
»Philipp«, sagte Johannes drängend, »wie kannst du so unbeteiligt reden? Verstehst du nicht, was dieser Satz bedeuten kann? Alle Kaiser haben ihre Macht bislang aufihre Vorgänger zurückgeführt, zu guter Letzt bis zum großen Konstantin. Wenn sich erweist, daß unter Konstantins Nachfolgern einer war, der sich nicht selbst gekrönt hat, sondern gekrönt wurde, dann erkennt das die Herrschaft eines anderen über den Thron des Kaisers an. Und wer sollte das anderes sein als der Heilige Stuhl? Wenn es auch noch bei einem Kaiser offenkundig wird, den der Ketzer Frederico über alles verehrt, dann muß er sich dem Heiligen Vater endlich beugen.«
»Nun, Friede der Christenheit«, sagte Philipp obenhin. »Es wurde auch Zeit.«
»Ja«, sagte Johannes, »und hiermit könnten wir ihn endlich herbeiführen. Schon in diesem Augenblick werden sich alle Kirchengelehrten eifrig auf diesen Fund stürzen.«
»Ein Glück für den Papst. Der Kaiser hat ihn bislang in allen Schlachten besiegt; er sitzt in Lyon und wartet darauf, daß Frederico ihn an den Haaren aus seiner Festung herauszieht.«
Johannes schüttelte den Kopf. »Deine Rede ist wie immer respektlos«, sagte er, aber er lächelte dabei.
»Was bringt dich auf den Gedanken, daß man jetzt schon etwas über diese Schriften erfahren haben könnte?«
»Weil Bruder Pio zu demselben Schluß gekommen ist wie ich, das habe ich Severins Worten entnommen. Und weil ich annehme, daß er das Kloster Hals über Kopf verlassen hat, um dem Vater Abt nachzureisen und ihn zu informieren. Ich habe nachgefragt; tatsächlich hat er nicht einmal den Prior von seinem Weggang informiert. Er hat Severin angelogen, damit dieser nicht mißtrauisch wurde.«
»Weshalb dieser Alleingang? Warum hat er niemanden eingeweiht?«
»Das kann ich dir erklären: Bruder Pio ist der jüngsteArchivar, den ich jemals gesehen habe; er kann das Noviziat noch nicht lange hinter sich haben. Jemand hat ihn protegiert, und er will dieser Protektion gerecht werden. Wenn er als der alleinige Entdecker und Verbreiter von Dokumenten bekannt wird, die den jahrhundertelangen Streit zwischen Papst und Kaiser beenden können, und das noch zu Gunsten des Heiligen Stuhles, dann ...«
»... heißt der nächste Papst Bruder Pio.« Johannes schnaubte.
»Die Tugenden des Mönchs seien Gottesfurcht, Demut und Bescheidenheit«, zitierte Philipp. »Aber wer ist
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