Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
von den Dokumenten. Ich rede von deiner Bitterkeit.«
»Manchmal kommt sie eben eher zu Wort als meine vergebende Erinnerung.«
»Ich wußte nicht, daß du so gefühlt hast.«
»Ich wußte es auch nicht, bis ich endlich diese Mauern verlassen hatte.«
»Philipp, es kann nicht alles schlecht gewesen sein. Deine Bitterkeit ist nur so groß, weil du von hier geflohen bist, ohne dich mit deinem Schmerz auseinanderzusetzen. Damit hast du diese Pflanze wachsen lassen, statt sie auszugraben und zu vernichten.«
»Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie ihr reagiert hättet, wenn ich nach einem Jahr wiedergekommen wäre, um euch Vorwürfe an den Kopf zu schmeißen. Ihr hättet mich mitsamt meinem bitteren Pflänzchen an die Luft gesetzt.«
»Ich nicht«, sagte Johannes zu Philipps Überraschung. »Ich hätte dir zugehört.«
»Ach was«, stieß Philipp hervor und winkte ab.
»Ich würde es auch heute noch tun.«
»Du solltest dich lieber mit dem Fund befassen, der die Christenheit insgesamt in den Himmel führen wird«, brummte Philipp und wies auf die Unterlagen in Johannes’ Armen. Der Kämmerer starrte ihn eine lange Weile an, scheinbar nicht willens, Philipp mit seiner Änderung des Themas davonkommen zu lassen. Dann näherten sich die Schritte von Bruder Severin, und er preßte die Kiefer zusammen und sah zu Boden.
»Ich werde Pio eingehend befragen, wenn er von seinem Ausflug zurück ist«, sagte er und wandte sich zum Gehen. »Mach dich jetzt an deine Arbeit. Ich werde dich vor der Mittagsruhe hier wieder abholen. Reicht dir die Zeit?«
Während Severin nach einigen Momenten unschlüssigen Hin- und Hertretens von Philipps Seite wich und wieder an sein Pult zurückkehrte, an dem er offensichtlich an einer Katalogisierung der archivierten Unterlagen arbeitete – vielleicht fügte er die neu gefundenen Dokumente in die Listen ein –, setzte sich Philipp auf den Boden unter eines der Dachfenster und begann, in den Büchern zu blättern. Die Unterlagen waren mannigfacher Natur: Neben Hochzeitsdokumenten, die eher selten waren, fanden sich Nachlaßerklärungen, Dokumente über Klostereintritte und Schenkungen und Akten über die dem Kloster als oblati überantworteten zweiten und dritten Söhne reicher Grundherren. Philipp war daran gewöhnt, in derartigen Unterlagen zu blättern; er war ein schneller und sicherer Leser und überdies mit den Eigenheiten der klösterlichen Listenführung vertraut, so daß er in kurzer Zeit beide Bücher beendet hatte. Auf den Namen Radolfs oder seine Hochzeitsunterlagen war er dabei nicht gestoßen.
Severin, den er nach weiteren Bänden befragte, schüttelteden Kopf. Philipp arbeitete daraufhin die Folianten ein zweites Mal durch, aber seine Feder blieb weiterhin untätig. Es gab keinerlei Unterlagen über Radolf Vacillarius, über seine Heirat oder auch nur seinen Zug ins Heilige Land. Er hatte sich in Fredgar getäuscht.
»Kann es sein, daß die Unterlagen über Radolf in einem anderen Kloster aufbewahrt sind; vielleicht dort, wo er ursprünglich hergekommen ist? Ich weiß zwar nicht, an welchem Ort er geboren wurde, aber es kann durchaus sein, daß es weit entfernt von hier war.«
»Das tut nichts zur Sache«, erklärte Severin, der über die weitere Störung durch Philipp nicht unerfreut schien; die Arbeit an den Listen ermüdete ihn offensichtlich. »Es wären dann nur seine Taufunterlagen, die sich an seinem Geburtsort befänden. Da seine Heirat vor Zeugen aus unserem Kloster stattgefunden hat, müssen auch seine Unterlagen hier sein.«
»Ist es möglich, daß man die Dokumente unter dem Namen seiner Frau aufbewahrt hat?«
»Habt Ihr den Namen der Frau gefunden?«
»In den Büchern über die Pilgerfahrer nicht...«
»Ich verstehe; die Frau wäre ja nicht unter den Pilgerfahrern zu finden. Nun, in diesem Fall stehen die Kodizes, die Ihr braucht, dort.«
Es war eine ebenso vergebliche Arbeit. Zuletzt saß Philipp inmitten der Bände, die sich um ihn herum auftürmten, und war ratlos. Radolf hatte die Originale aus dem Kloster geholt und zugelassen, daß sie verbrannten. Sein Pech. Und Philipp hatte einen alten Säufer bei weitem überschätzt – so wie er sich generell in Säufern zu täuschen schien. Wütend biß er die Zähne zusammen, stand auf und gab dem nächstliegenden Regal einen Tritt.
»Ihr müßt ein paar Angaben falsch verstanden haben«, sagte Severin mit der Unbekümmertheit seiner Jugend.
»Vermutlich«, brummte Philipp, der genau wußte, daß kein
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