Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
Form zurückfand. »Ihm gehört das absolut schönste, reichste und am meisten beneidete Gut diesseits der Grenze; und um ehrlich zu sein: Ich fehle ihm jeden Tag, den ich nicht dort sein kann.«
Ernst schlug sich auf die Schenkel und brüllte vor Lachen. Er bot Philipp die ausgestreckte Hand an.
»Du gefällst mir. Schlag ein, Philipp der Schwervermißte.« »Ich freue mich, Euch kennenzulernen, Herr Guett’heure.«
»Nenn mich Ernst. Immerhin haben wir uns gemeinsam gegen die schrecklichsten Wegelagerer behauptet, die die Welt gesehen hat.«
»Ich bin nicht von Stand«, erklärte Philipp steif. »Na und? Mein Pferd ist auch nicht von Stand, und trotzdem tritt es mich in den Hintern, wenn ich nicht aufpasse.« Er wandte sich unbeschwert ab und bückte sich, um einen ledernen Beutel und eine zerschlissene Decke vom Boden aufzusammeln. Darunter lag eine kurze Lanze, ein mit einem farbenfrohen Wappen bemalter Schild und ein zweites, blankes Schwert. Philip erkannte, daß Ernst Guett’heure mit seiner Bewaffnung, seiner nachlässig demonstrierten Geschicklichkeit und vor allem seiner kühlen Umsicht imstande gewesen wäre, sich durchaus erfolgreich gegen ein Pack von Wegelagerern zur Wehr zu setzen. Seine Befremdung darüber, daß der Mann allein reiste, verschwand. Gewiß war er kein vom Reichtum verwöhnter Gutsherr, der sich auf seine bewaffneten Gefährten verließ; wenn sich auch am Zustand seiner Waffen ablesen ließ, daß er ebenso gewiß kein armer Mann war. Philipp dachte an Ernsts Angebot, ihn wie einen Gefährten zu behandeln, und beschloß, sich so lange wie möglich um eine vertrauliche Anrede herumzudrücken.
Ernst packte seine Sachen dem Pferd auf. Der Gaul ertrug es lammfromm, ohne Anstalten zu machen, seinem Herrn in den Hintern treten zu wollen. Aus der Nähe besehen,wirkte er trotz seiner Massigkeit klein für das Streitroß eines bewaffneten Herrn. Philipp war sicher, daß Ernst zu Hause noch ein zweites Pferd besaß, das so groß wie ein Elefant und so gemein wie ein Bulle war, den eine Wespe in das Gemächt gestochen hat.
»In welche Richtung führt dich dein Weg, Philipp?« fragte Ernst.
Philipp deutete den Weg entlang. »Dorthin? Gibt’s da noch etwas, wohin sich zu reisen lohnt? Ich war mir sicher, bei Radolfs Hütte sei die Welt zu Ende.«
»Ich will zu Radolf Vacillarius«, erwiderte Philipp bestürzt. Ernst stutzte.
»Ich auch«, sagte er dann und musterte Philipp nochmals eingehend. »Sag jetzt nicht, Radolf ist der Herr, von dem du gesprochen hast.«
»Nein. Ich führe nur eine Aufgabe für ihn aus.«
»Und welche Aufgabe wäre das?«
»In welcher Verbindung steht ... Ihr ... zu Radolf?«
Ernsts Gesicht spannte sich, dann verzog es sich wieder zu einem Lächeln. Philipp fühlte einen Anflug von Unwohlsein wegen der berechnenden Kühle, die er für einen Moment in den Augen Ernsts gesehen hatte, und war fast froh, daß er sich gegen die vertrauliche Anrede entschieden hatte. Dann schlug ihm Ernst auf die Schulter.
»Recht so«, rief er. »Geht mich überhaupt nichts an; und wenn ich es wissen will, sollte ich lieber Radolf selbst fragen. Nun, was mich betrifft: Radolf und ich haben gemeinsam die Köpfe der Heiden zusammengeschlagen im Heiligen Land. Ich habe für eine Weile in der Stadt zu tun und schlafe während dieser Zeit unter seinem Dach. Du weißt schon – es geht nichts darüber, bei einem üppigen Essen alte Schlachten nachzuerzählen. Ich habe ihm sogar eineWildsau mitgebracht, die ich unterwegs erlegt hatte, damit wir ordentlich schmausen konnten.« »Das zweite Roß in seinem Stall: Es gehört Euch«, sagte Philipp.
»Was ist damit? Hat es den Stall schon zu Klump geschlagen? Nicht, daß viel dazugehören würde.«
»Es ist nichts. Ich habe es nur dort gesehen. Es verhielt sich vollkommen normal.«
»Das hoffe ich doch nicht; normal bedeutet bei dieser Bestie, daß sie sich mit uns an einen Tisch setzt, rohes Fleisch frißt und Blut säuft.« Ernst schwang sich in den Sattel und sah ungeduldig auf Philipp hinunter.
»Worauf wartest du? Laß uns zu Radolf reiten. Er und sein hübsches Töchterchen erwarten uns sicherlich mit Ungeduld.«
»Dionisia?«
»Genau die. Wer hätte geglaubt, daß so ein häßlicher Kerl wie Radolf eine so schöne Tochter zeugen kann?« Er grinste boshaft. »Los jetzt«, sagte er.
»Nach Euch. Ich decke Euch den Rücken.«
Ernst lachte auf. »Ich verlasse mich darauf«, rief er und trieb sein Pferd an; es rannte sofort los.
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