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Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser

Titel: Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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für die Büttel, die um den Markt herumschlichen und auf eine Gelegenheit hofften, ihre schweren Spieße auf hitzige Köpfe herabfallen zu lassen. Es gab mehr Streit als gewöhnlich, mehr wütende Flüche als gewöhnlich, mehr Käufe, die rückgängig gemacht statt getätigt wurden. Die weiter Herumgekommenen in der Menge erkannten, daß diese schwebende, lastende Stimmung nicht allein auf Köln beschränkt war, sondern sich überall im Reich breitzumachen schien. Die Christenheit wartete, daß endlich eine Entscheidung fiele; und die wenigen, die Muße genug hatten, sich darum zu kümmern, welches Jahr man wohl schrieb, beteten zu Gott, er möge ihnen zum Anbruch seines neuen Zeitalters ein Zeichen senden, wem sie zu folgen hatten.
    Philipp schob sich durch die Menschen mit jenem leicht schlurfenden Gang, den ihm die viel zu großen Klostersandalen seiner Jugendzeit angewöhnt hatten, und mit schlenkernden Händen, für die er keinen Platz mehr fand, seitdem er die Kutte mit ihren weiten Ärmellöchern für immer ausgezogen hatte. Seifrid und Galbert folgten ihm mit neugierigen Augen und Ohren.
    Auf den Straßen drängten sich noch mehr Menschen als zwei Tage zuvor. Ein weiterer Schub Kaufleute war angekommen, zusammen mit Hunderten von Pilgern, die mit den ersten Schiffen rheinabwärts in Köln eingetroffen waren, um die Gebeine der Heiligen Drei Könige, der heiligen Ursula und ihrer elftausend Jungfrauen oder des heiligen Gereon zu sehen. Der Verkehr stockte immer wieder,wenn beladene Maultiere von Holzkohlenträgern aufgehalten wurden oder wenn die Menschenmasse versuchte, dem gigantischen Ladenschild einer Herberge oder eines Handwerkers auszuweichen oder um die Abfallhaufen vor den Häusern drängelte. In den engen Gassen, von den Fachwerkwänden der Häuser und den wenigen Steinmauern beengt, wogte der Lärm hin und her, Schimpfworte, Lachen, die Schreie der Ausrufer, laute Gespräche und das Fluchen derjenigen, die in der Müllrinne standen und denen der Kot oben zu den Schuhen hineinlief. Zwischen den gutgekleideten Kaufherren und den abgerissenen Pilgern stolzierten die Mitglieder der Herrenfamilien, wandelten die Deutschritter und die Johanniter mit ihren schweren Mänteln. Wo man stehenbleiben mußte, weil nichts mehr vorwärts ging, stellte man sich eng zusammen, um sich gegenseitig die Börsen vor den Händen der Schnapphähne zu schützen, und tauschte Neuigkeiten aus. Wenn es keine Neuigkeiten gab, kommentierte man die altbekannten Tatsachen.
    »Eben hab’ ich zwei Kerle sagen hören, vor zwei Tagen hätten sie einen abgestochen auf dem Markt«, sagte Galbert nach einer Weile zu Philipp. »Du warst doch hier. Hast du das mitgekriegt?«
    Philipp wandte sich um. »Allerdings«, sagte er. Galbert sah in sein Gesicht und zog die Augenbrauen zusammen.
    »Und?« fragte er.
    »Was ›und?‹ Nichts ›und‹ Der Mann lag im Sterben, als ihn die Büttel abtransportierten.«
    »Was hat er denn getan?«
    Philipp dachte daran, wie der Kaiserliche das Schwert des Büttel zu fassen bekommen und bei seinem Sturz auf den Boden aus der Scheide gezogen hatte.
    »Er hat sich dämlich angestellt, das war alles«, seufzte er.
    Galbert schüttelte den Kopf.
    »Das reicht schon dafür, daß man abgestochen wird?« fragte er mit halbem Unglauben. »Schlimme Zeiten sind das.«
    »Dafür hat es schon immer gereicht«, knurrte Philipp. »Paßt jetzt auf, ob ihr den Flandrischen irgendwo seht. Er hat die Stoffe für unseren Herrn dabei.«
    Galbert und Seifrid tauschten einen wortlosen Blick und ließen Philipp in Ruhe. Dieser stapfte ihnen mißmutig voran. Galberts Geplapper hatte das unwillkommene Bild wieder hervorgerufen. Als sie an der Stelle vorbeikamen, an der es geschehen war, waren nicht einmal mehr die dunklen Blutflecken zu sehen. Der Tod war nichts Ungewöhnliches, und wenn man auch nicht auf Schritt und Tritt über eine Leiche stolperte, so war man doch darauf gefaßt, ihm gegenüberzutreten: In einem abgelegenen Bauernhaus lagen die fliegenübersäten Körper der Pächter, die aus Versehen etwas Giftiges gegessen hatten; ein Bauer bat den Herrn um Hilfe, weil eines seiner Kinder oder seine Frau bei der Geburt eines weiteren Kindes umgekommen war; ein Erschlagener verrottete mehrere Tage neben der Straße, bis ihn die Bewohner des nächstgelegenen Hauses wegschafften, weil sein Geruch zu streng wurde. Nach Überschwemmungen trieben die aufgeblähten Körper der Ertrunkenen den Fluß herunter und verfingen sich in

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