Der Jahrtausendkaiser: Der Jahrtausendkaiser
schläft bereits«, erwiderte Dionisia. Radolf hob den Krug und hielt ihn Dionisia entgegen.
»Vielleicht wäre die Königin dann so freundlich, neuen Wein zu holen?« sagte er sarkastisch. Dionisia erhob sich. »Vater, ihr wißt, daß ich den Deckel des Fasses nicht allein hochheben kann. Er ist zu schwer.«
Philipp sprang auf und erbot sich, an ihrer Stelle zu gehen. »Weißt du, wo sich das Faß befindet?« knurrte Radolf. Philipp schüttelte den Kopf.
»In der jenseitigen Wand der Küche ist eine halbhohe Tür. Sie ist verschlossen. Den Schlüssel habe ich hier ...«
»Wie wär’s, wenn du einfach selbst gehen würdest?« unterbrach Ernst. »Ich versichere dir, daß dich keiner von uns deswegen schief ansehen wird.«
Radolf starrte ihn an. Langsam überzog eine wächserne Blässe sein Gesicht. »Nein«, krächzte er. Ernst zog die Augenbrauen hoch. »Was denn?« fragte er spöttisch. »Hast du einen Geist im Keller?«
Radolf fuhr so heftig auf, daß die Tischplatte verschoben wurde. Der leere Weinkrug stürzte um und polterte zu Boden. Radolfs Gesicht leuchtete vor Blässe. Dionisia trat erschrocken einen Schritt zurück. Ernsts Augen wurden schmal.
»Es ist genug!« brüllte Radolf und hieb mit der Faust so hart auf die Tischplatte, daß noch ein Holzbecher dem Krug auf den Boden hinunter folgte. »Es gibt keinen Wein mehr! Das Mahl ist zu Ende!«
Seine Augen flackerten unstet. Die Angst, die hinter seinem Zornesausbruch lag, teilte sich Philipp mit würgender Intensität mit. Radolf wandte sich brüsk ab, marschierte steifbeinig zu seiner Kammer und riß die Decke beiseite, die den Eingang versperrte.
Sie hörten ihn, wie er drinnen wütend gegen die Truhen und gegen seine Schlafstelle trat.
»Wünsche eine gute Nachtruhe«, sagte Ernst ungerührt und stand auf.
Am nächsten Morgen lungerte Philipp im Saal herum, um auf Radolf und die Gelegenheit zu warten, sich endlich mit ihm zu beraten, doch er erschien nicht; ebensowenig war Ernst Guett’heure zu finden. Als Philipp sich schließlich mit höflichem Husten vor Radolfs Kammer aufstellte und die Decke beiseite schob, sah er, daß die Kammer leer war. Er stand unschlüssig im Saal, als Dionisia hereinkam.
»Mein Vater ist nicht da«, erklärte sie überflüssigerweise. Sie blieb stehen, um auf eine Erwiderung zu warten, und er beschloß, einen Gedanken mit ihr zu teilen, der seit dem Abendessen an ihm fraß und der ausnahmsweise nichts mit seinen Gefühlen für sie zu tun hatte.
»Hat Euch die Geschichte von Herrn Guett’heure gefallen?« fragte er vorsichtig.
»Er kam doch nicht mehr dazu, sie mir zu erzählen.«
»Nein, ich meine nicht sein – äh – Liebesgeheimnis. Ich meine die Geschichte über das Erlebnis mit dem dicken Sarazenen.«
Sie lachte in der Erinnerung daran. »Der famose Pfeilschütze? Natürlich. Ich dachte, mir platzen die Seiten vor Lachen.«
»Dionisia«, sagte er langsam. »An dieser Geschichte stimmt einiges nicht.«
Sie winkte ab und lächelte ihn fröhlich an. »Es mag schon sein, daß Ernst ein wenig übertrieben hat. Was kümmert es mich? Er hat uns zum Lachen gebracht, das ist die Hauptsache.«
»Darauf kommt es mir nicht an. Mein Herr hat selbst amKriegszug gegen die Heiden teilgenommen und mir viel darüber erzählt. Es stimmt nicht, daß die Sarazenen dem Heer von Herrn Friedrich ein Friedensangebot machten; tatsächlich war es umgekehrt: Der Sultan erhielt ein Schreiben mit einem Verhandlungsangebot von der christlichen Seite.«
Dionisia zuckte mit den Schultern. Ihr Lächeln war um wenige Grade kühler geworden. »Woher wollt Ihr das so genau wissen?« fragte sie. Philipp erkannte die Ablehnung in ihrer Stimme, aber er fühlte sich gezwungen fortzufahren.
»Mein Herr bewegte sich in der unmittelbaren Umgebung von Herrn Friedrich und war über die Schritte des Kaisers gut informiert. Ich weiß außerdem, daß in Palästina, wo das Heer landete und mit dem Sultan verhandelte, keine solche Wüste ist, wie sie von Ernst beschrieben wurde. Die Römer haben seinerzeit dort viel Wald abgeholzt, um ihre Flotte zu bauen, aber es besteht dennoch nicht alles nur aus Stein und Sand. Demzufolge gibt es auch diese Oasen nicht, die wie grüne Punkte mitten in der Wildnis liegen. Tatsächlich gibt es dort sogar Flüsse.«
»Vielleicht hat Ernst die Orte verwechselt. Er ist ja wohl viel herumgekommen dort.« Was Dionisia nicht dazusagte, war dennoch deutlich zu hören: Ganz im Gegensatz zu Euch. Philipp seufzte.
»Die
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